Die Klimakrise ist eine gesundheitliche und humanitäre Krise
Steigende Temperaturen, ausbleibende Regenzeiten und immer häufiger auftretende Extremwetterereignisse wie Wirbelstürme und Überschwemmungen haben direkte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
Wir sind weltweit in humanitären Krisen im Einsatz und sehen in unseren Projekten unmittelbar die gesundheitlichen Folgen, die Umweltveränderungen für die Menschen haben können.
Die humanitären Bedürfnisse weltweit werden mit dem Fortschreiten der Klimakrise weit über das hinauswachsen, was wir und andere humanitäre Nothilfeorganisationen bewältigen können. Die Klimakrise ist auch eine humanitäre Krise!
Besser vorbereitet sein
Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen klimabedingten Veränderungen und humanitären medizinischen Notfällen ist für unsere Arbeit entscheidend, damit wir auf aktuelle Entwicklungen und neue Krisen effizient reagieren können.
Zum einen geht es dabei um Extremwetterereignisse, wie katastrophale Wirbelstürme und Taifune, die für Schlagzeilen sorgen. Zum anderen aber auch um Entwicklungen, die langsamer geschehen: die Entstehung und Ausbreitung von Infektionskrankheiten, das zunehmende Risiko von Dürren und Ernährungskrisen, klima-induzierte Flucht und Migration von Menschen, fehlendes Trinkwasser und vieles mehr.
Kaum eine Atempause
Der Klimawandel und seine Folgen verstärken und verschärfen zudem bestehende Probleme. “Vieles bedingt sich gegenseitig und sich überlagernde Krisen führen zu einer besorgniserregenden Verschärfung der humanitären Notlagen,” sagt Elisa de Siqueira, unsere Expertin für die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit in humanitären Kontexten.
“Wir sehen zum Beispiel in vielen Regionen, in denen wir arbeiten, wie Extremwetterereignisse immer häufiger auftreten und immer stärker werden. Das gibt unseren Patient*innen kaum Zeit, sich von einer Katastrophe zu erholen, geschweige denn sich anzupassen oder vorzubereiten, bevor die nächste eintritt.”
Wie so oft tragen die Menschen, die mit ihrem Verhalten am wenigsten zur Klimakrise beitragen, die größte Last ihrer Konsequenzen.
Beispiele für den Zusammenhang
Wärmeres Wetter bedeutet: mehr Moskitos, mehr Bisse, mehr kranke Menschen
Wärmere Temperaturen und unregelmäßige Regenfälle schaffen in vielen Regionen einen Nährboden für Moskitos. Sie nutzen warme Wasserpfützen als Brutflächen. In der Folge breiten sich Krankheiten, die durch Mücken übertragen werden, stärker aus: etwa Malaria und Dengue-Fieber.
In Lateinamerika und Asien stieg die Zahl der schweren Erkrankungen an Dengue-Fieber im Laufe der vergangenen Jahrzehnte um ein Vielfaches an – in diesen Regionen ist Dengue-Fieber eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle. Wir kämpfen insbesondere in diesen Regionen z.B. in Honduras oder Myanmar gegen Ausbrüche von Dengue-Fieber sowie auch in Zentralafrika (z.B. Tschad).
Ähnlich verhält es sich mit Malaria. Ein großer Teil unserer Bemühungen konzentriert sich auf den Südsudan, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik, wo die Zahl der Malaria-Erkrankungen und Todesfälle infolge der Krankheit immer wieder ansteigt. Wir bemühen uns daher, die Prävention zu verbessern, die am stärksten gefährdeten Menschen zu erreichen und zu behandeln und die Vorausplanung für die Malaria-Saison in den am stärksten betroffenen Regionen zu verbessern.
Wasserknappheit heißt Dürre, keine Ernte und schließlich: Mangelernährung
Eine direkte Folge von Wasserknappheit, Dürre und Ernährungsunsicherheit ist Mangelernährung. Nachdem die Zahl der an Hunger leidenden Menschen ein Jahrzehnt lang stetig zurückgegangen war, nimmt sie seit einigen Jahren wieder zu. Der Welthungerindex (WHI) 2022 der Welthungerhilfe und Concerne Worldwide belegt: Aktuell sind rund 18,2 Prozent der Weltbevölkerung von Mangelernährung betroffen, Tendenz steigend.
Während die Gründe dafür durchaus vielfältig sind - bewaffnete Konflikte, ökonomische Krisen und nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie – verstärkt die Klimakrise humanitäre Notlagen und Ernährungsunsicherheit um ein Vielfaches: Regen bleibt in vielen Regionen immer häufiger aus und ehemals verlässliche Muster, wie etwa Beginn und Dauer des Monsuns, verändern sich stark. Die Konsequenzen sind Trockenheit und ausbleibende Ernten.
"Dieses Jahr (2022) gab es sehr wenig Regen. Es war schlimmer als in jedem anderen Jahr, an das ich mich erinnern kann", sagt Khadija Iba, Landwirtin im Tschad. "Wir haben kaum etwas geerntet. Wir mussten Gemüse auf dem Markt kaufen, aber alles kostet jetzt fast doppelt so viel. Wir haben nicht genug zu essen." Die Mutter war zwei Stunden gelaufen, um ihre jüngste Tochter für eine Nachfolgeuntersuchung in unsere Klinik zu bringen. Sie war einen Monat lang im Rahmen unseres Ernährungsprogramms in Massakory aufgrund akuter Mangelernährung behandelt worden.
Insbesondere für Kinder ist Mangelernährung akut lebensgefährlich, hat gravierende Folgen für ihre Entwicklung und schwächt das Immunsystem, was sie wiederum anfälliger für Krankheiten wie Malaria macht. Ein Teufelskreis.
Extremes Wetter bringt Zerstörung und in der Folge mehr Krankheitsausbrüche
Aufgrund des Klimawandels treten Extremwetterereignisse immer häufiger und heftiger auf. In der Zerstörung, die Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Erdbeben folgt, kommt es verstärkt zum Ausbruch von Krankheiten wie Malaria oder Durchfallerkrankungen.
Beispielsweise wurde Mosambik Anfang 2022 von drei aufeinander folgenden Naturkatastrophen heimgesucht: Auf die tropischen Stürme Ana und Dumako folgte sechs Wochen später der noch heftigere tropische Wirbelsturm Gombe. Oder auch Pakistan, wo ganze Landstriche durch den extremen Monsun in diesem Sommer unter Wasser stehen.
Die Infrastruktur in beiden Ländern wurde so stark beschädigt, dass es nicht mehr ausreichend sauberes Trinkwasser gab, sanitäre Einrichtungen nicht mehr funktionierten und die Menschen in entsprechend schwierigen Bedingungen leben.
“Wir fanden Familien ohne ein Dach überm Kopf. Ich sah Menschen, die zum Schutz zwischen zwei Holzbetten Plastikplanen aufgespannt hatten. Sie hatten weder Trinkwasser noch genügend zu essen und es regnete immer weiter,” berichtet Akeela Qadir, die als Gesundheitsberaterin für uns in Pakistan tätig ist.
Hygiene aber ist die Grundlage von Gesundheit: Im Chaos und der Zerstörung, die auf extreme Wetterereignisse folgen, breiten sich die oben genannten Krankheiten schnell unter der Bevölkerung aus. Unsere Teams sind dann schnell vor Ort, leisten medizinische Nothilfe und bauen grundlegende Infrastrukturen wieder auf.
“Wir arbeiten daran Krankheitsausbrüche zu verhindern, indem wir spezialisierte Behandlungszentren einrichten oder Malariamittel verteilen,” erklärt Akeela Qadir zur Situation in Pakistan.
Klimakrise und Gender: Frauen sind stärker betroffen
Die Klimakrise hat für Menschen unterschiedlicher Geschlechter unterschiedliche Auswirkungen: wirtschaftlich, sozial, medizinisch und psychologisch. Die Gründe für die unterschiedlichen Konsequenzen finden sich sowohl in biologischen Unterschieden als auch in den sozialen Rollen und Verantwortlichkeiten.
So birgt etwa die stärkere Ausbereitung von Moskitos und die dadurch häufigere Übertragung von Malaria für Schwangere ein besonderes Risiko. Eine Ansteckung kann in der Schwangerschaft und bei der Geburt zu lebensgefährlichen Komplikationen für Mutter und Kind führen.
Ein anderer Aspekt ist die Wasserversorgung, für die Frauen an vielen Orten zuständig sind. Bei zunehmender Trockenheit müssen sie immer längere Strecken laufen, um zu Wasserstellen zu gelangen. Dies kann gesundheitliche Schäden nach sich ziehen und erfordert einen höheren Energieaufwand.
Wenn Menschen nach zerstörerischen Extremwettereignissen in notdürftigen Massenunterkünften Zuflucht suchen müssen, sind Frauen zudem mit größerer Wahrscheinlichkeit von sexualisierter Gewalt betroffen.
In unseren Projekten sind wir tagtäglich mit diesen Zusammenhängen konfrontiert und passen unsere Gesundheitsprogramme entsprechend an.
Wie im Zusammenspiel von Gender und Klimakrise Gesundheitsrisiken für bestimmte Gruppen entstehen, besprachen Expert*innen auf dem diesjährigen Humanitären Kongress in Berlin. Die Aufzeichnung der Diskussion finden Sie hier.
Klimabedingter Verlust der Lebensgrundlage zwingt Menschen zur Flucht
Derzeit sind weltweit bereits mehr Menschen auf der Flucht als je zuvor. Mitte 2022 überstieg ihre Zahl nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks erstmals 100 Millionen Menschen. Unzählige von ihnen haben ihr Zuhause aufgrund von Klimaveränderungen verlassen müssen: etwa, wenn ganze Landstriche samt Ackerland durch Dürren oder schwere Überschwemmungen verwüstet wurden.
Klimaveränderungen und ihre Konsequenzen führen dazu, dass viele Menschen gefährliche Wege auf sich nehmen, in der Hoffnung anderswo ein Auskommen und eine Zukunftsperspektive zu finden – mit erheblichen Folgen für ihre physische und psychische Gesundheit.
Viele Menschen wandern in Städte ab, wo sie aber häufig auch unter prekären Verhältnissen leben. Andere Vertriebene verbleiben in oft überfüllten Geflüchteten-Camps, in denen die Lebensbedingungen an sich krank machen: zu viele Menschen auf engem Raum, schwierigen Hygienebedingungen, nur begrenzt sauberes Trinkwasser. Neben den psychischen Folgen führen diese Lebensumstände dazu, dass sich Krankheiten wie Cholera oder Krätze schnell ausbreiten.
Vielfach gibt es in Regionen, in die sich Betroffene aufmachen, eine ähnlich schwierige Ernährungslage wie in ihrer Heimatregion. Dies kann wiederum zu Ressourcenknappheit und in der Konsequenz auch zu Konflikten führen.
Im östlichen Niger, in der Region Diffa etwa, werden die Nahrungsmittel unter anderem aus diesem Grund knapp: In den umliegenden Gebieten im Tschad und Nigeria sind die bewaffneten Gruppen Boko Haram und Islamischer Staat aktiv. Auf der Flucht vor dieser Gewalt kommen viele Menschen in den Niger - die vorhandenen Ressourcen müssen entsprechend mehr Menschen versorgen.
Wir sind in den Klimakrisenherden, entlang vieler Fluchtrouten weltweit und in Camps für Geflüchtete aktiv und leisten medizinische Nothilfe. Weitere Informationen zu unserer Hilfe für Menschen auf der Flucht finden Sie hier.

Sie suchen eine Expertin zum Thema?
Elisa de Siqueira, unsere Expertin für die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit im humanitären Kontext, steht für Interviews zur Verfügung.
Die Interviewvermittlung erfolgt über unsere Pressestelle.
Ärzte ohne Grenzen und Nachhaltigkeit
Wir helfen Menschen in Not in den entlegensten Gebieten der Welt und wollen dabei unseren ökologischen Fußabdruck minimieren. Wir haben daher die Klima- und Umweltcharta unterzeichnet. Darin verpflichten wir uns, unsere CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2019 zu senken.
Derzeit entwickeln wir einen Fahrplan mit konkreten Schritten. Wir setzen u. a. vermehrt auf Seefracht, reduzieren Flüge, verringern den Einsatz medizinischer Einwegartikel und statten unsere Kliniken - etwa in Pakistan oder der Demokratischen Republik Kongo - mit Solarpaneelen aus.
"Die Dekarbonisierung der Umsetzung unserer medizinischen Notfallprojekte in mehr als 70 Ländern ist eine Herausforderung. Aber wir sind entschlossen, dieses Ziel zu erreichen", sagt unser internationaler Präsident, Christos Christou. "Wenn wir künftigen Generationen weiteres Leid und Katastrophen ersparen wollen, müssen wir alle Verantwortung übernehmen. Die Eindämmung der Emissionen ist jetzt Teil unseres humanitären Handelns."

Erklärt im Video
Auf unserem YouTube-Kanal sprechen unsere Expert*innen über die Zusammenhänge von Klimakrise und planetarer Gesundheit, erklären u.a., warum planetare Gesundheit uns alle etwas angeht und wie feministische Ansätze in eine klimagerechte Zukunft führen können.