"Ein Warteraum zwischen Leben und Tod"
19.08. - 20.08.2025
In den letzten 48 Stunden wurde ich mit Anrufen von Familienangehörigen von Krebspatient*innen in Gaza überschüttet. Mütter, Väter, Kinder – alle flehen um eine Chance zu leben.
Medizinische Quellen berichten, dass 11.000 Krebspatient*innen in Gaza aufgrund des Krieges und der anhaltenden Blockade der Lieferung von medizinischen Hilfsgütern und Medikamenten gewaltsam von einer notwendigen Behandlung abgehalten wurden. Intravenöse Chemotherapien und medizinische Nachsorge wurden vollständig eingestellt. Die Evakuierung des Europäischen Krankenhauses und des Gaza Cancer Center hat diese katastrophale Lage nur noch verschlimmert.
Dringender Bedarf an medizinischer Evakuierung
Von diesen Patient*innen benötigen 5.000 dringend eine medizinische Evakuierung ins Ausland, um sich einer Chemotherapie, Bestrahlung oder Diagnose zu unterziehen. Dennoch fehlen derzeit 64 % der lebenswichtigen Krebsmedikamente. Einige Patient*innen hatten nur noch einen Behandlungszyklus vor sich und nun schwindet diese Chance.
Sie flehen um medizinische Evakuierung, um eine Möglichkeit, ihre Behandlung im Ausland fortzusetzen, aber der Prozess verläuft quälend langsam. Hinter jeder Zahl steht ein Gesicht, eine Stimme, ein Körper, der unter der Last von Krankheit und Verzweiflung zusammenbricht.
Das sind nicht nur Statistiken. Das sind Leben.
In Gaza gibt es jedes Jahr etwa 2.000 neue Krebsfälle, darunter 122 Kinder. Ohne Geräte für die Früherkennung, ohne Chemotherapie, ohne Bestrahlung und ohne Medikamente sind sie in einem Warteraum zwischen Leben und Tod gefangen.
Wie sagt man einer Mutter, dass die Chemotherapie für ihr Kind nicht rechtzeitig kommen wird? Wie antwortet man einem Vater, der fragt, ob es noch eine Möglichkeit gibt, seine Tochter zu retten?
Das sind nicht nur Statistiken. Das sind Leben. Und im Moment werden sie dem Tod überlassen.
In Gaza gibt es keine Zeit.
Keine Zeit für ein Kind, um über die toten Eltern zu trauern, bevor es begreift, dass es nun Waise ist.
Keine Zeit für die Verwundeten, um vor Schmerzen zu schreien, keine Zeit, um Wunden zu versorgen, weder die sichtbaren noch die unsichtbaren.
Keine Zeit für die Krankenhäuser, um durchzuatmen, bevor die nächste Welle von Verletzten eintrifft.
Keine Zeit für eine schwangere Frau, um während der Wehen zu schreien.
Keine Zeit, vor Hunger zu weinen, während sich die Mägen still zusammenziehen.
Keine Zeit für Familien, zu trauern, bevor neue Trauer sie wieder erdrückt.
Keine Zeit, die Toten in Würde zu begraben.
Keine Zeit, sich von denen zu verabschieden, die unter den Trümmern verschwinden.
Keine Zeit, das Zerstörte wieder aufzubauen, denn die Zerstörung kommt immer schneller zurück.
Keine Zeit, darüber nachzudenken, wohin man laufen soll, wenn Vertreibungsbefehle erteilt werden.
Keine Zeit für Stille, denn selbst die Stille hier wird vom Lärm der Luftangriffe unterbrochen.
Das Leben hier in Gaza ist auf Minuten und Sekunden reduziert; jeder Moment wird vom Überleben gestohlen.