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Gaza: Ärzte ohne Grenzen fordert Ende des tödlichen Verteilmechanismus zur Lebensmittelvergabe

Gaza/Berlin, 27. Juni 2025. Der vor einem Monat gestartete Verteilmechanismus der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) zwingt die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen sich zu entscheiden: zwischen Hunger und dem Risiko, bei der Lebensmittelvergabe verletzt oder getötet zu werden. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen haben bereits mehr als 500 Menschen ihr Leben bei dem Versuch verloren, Lebensmittel zu bekommen. Mehr als 4.000 sind verletzt worden. Ärzte ohne Grenzen fordert, den Mechanismus der israelisch-amerikanischen GHF sofort einzustellen und zu dem zuvor durch die Vereinten Nationen koordinierten System zurückzukehren.

Das Verteilungssystem der GHF verlangt von Tausenden Palästinenser*innen lange Wege zurückzulegen, um die vier Verteilungsstellen im Gazastreifen zu erreichen. Dabei sind die Menschen durch die von den israelischen Behörden verhängte Blockade, die seit über 100 Tagen anhält, geschwächt. Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen haben kaum Zugang zu Hilfsgütern. Und diejenigen, die es zu den Verteilzentren schaffen, laufen Gefahr in einem chaotischen Durcheinander verletzt oder getötet zu werden.

Die vier Verteilungsstellen befinden sich alle in Gebieten, die von israelischen Streitkräften kontrolliert werden, nachdem Menschen dort gewaltsam vertrieben wurden. Sie sind so groß wie Fußballfelder und von Wachposten und Stacheldraht umgeben. Es gibt nur einen Ein- und Ausgang. Die Mitarbeitenden der GHF stellen Paletten und Kisten mit Lebensmitteln ab und öffnen die Zäune. Tausende stürmen dann auf einmal herein und kämpfen um jedes Reiskorn.

Aitor Zabalgogeazkoa, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Gaza

Jeden Tag behandeln die Teams von Ärzte ohne Grenzen Menschen, die bei dem Versuch, an einem dieser Orte Lebensmittel zu bekommen, verletzt oder getötet werden. Im provisorischen Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Deir al-Balah stieg die Zahl von Patient*innen mit Schussverletzungen in der Woche vom 8. Juni um 190 Prozent gegenüber der Vorwoche.

„Kommen die Menschen früh zu den Verteilzentren und nähern sie sich ihnen, wird auf sie geschossen. Kommen sie pünktlich an, sind es aber zu viele und springen sie über die Absperrungen, wird auf sie geschossen. Kommen sie zu spät, dann dürfen sie nicht mehr dort sein und es wird auf sie geschossen”, so Zabalgogeazkoa.

Verletzte Patient*innen suchen oft Hilfe in einfachen oder provisorischen Gesundheitseinrichtungen, da größere Krankenhäuser, die besser für die Behandlung schwerer Verletzungen ausgerüstet sind, durch israelische Angriffe vielfach beschädigt sind. Viele funktionieren nur noch teilweise. Es mangelt an Schmerzmitteln, Anästhetika und Bluttransfusionen.

Die medizinische Einrichtung von Ärzte ohne Grenzen in Al-Mawasi, die normalerweise nicht für die Behandlung von Patient*innen mit schweren Verletzungen ausgerüstet ist, hat seit dem 7. Juni 423 Verwundete aufgenommen, die bei den Verteilstellen verletzt wurden. Jeden Tag kommen zehn oder mehr Patient*innen mit schweren Verletzungen dazu. Diese Verletzungen erfordern sofortige lebensrettende Maßnahmen wie Bluttransfusionen oder Operationen, die die medizinischen Teams in einer einfachen Gesundheitsklinik jedoch nicht leisten können.

Die Patient*innen werden nach Möglichkeit an die wenigen noch funktionierenden Krankenhäuser wie das Nasser-Krankenhaus überwiesen. Doch selbst funktionsfähige Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, die zahlreichen Menschen, die jeden Tag in die Notaufnahmen kommen, zu versorgen.

Die internationale Gemeinschaft nimmt die Vorfälle im Gazastreifen lediglich zur Kenntnis, obwohl sie den Mustern eines Völkermordes entsprechen. Ärzte ohne Grenzen fordert die Wiederherstellung eines echten Hilfssystems, ein Ende der Blockade von Lebensmitteln, Treibstoff und humanitären Gütern sowie einen dauerhaften Waffenstillstand. Humanitäre Hilfe muss den humanitären Prinzipien folgen: Sie muss diejenigen erreichen, die sie am dringendsten benötigen, unter Wahrung ihrer Würde. Humanitäre Hilfe darf nicht von einer Kriegspartei kontrolliert werden, um militärische Ziele zu erreichen.