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Syrien

Syrien: Bevölkerung im Nordosten braucht dringend mehr humanitäre Hilfe

Al-Hasakah/Berlin, 6. November 2025. Wassermangel, unerschwingliche Lebensmittel und fehlende medizinische Versorgung bedeuten für einen großen Teil der Bevölkerung im Nordosten Syriens einen täglichen Überlebenskampf. Zu diesem Schluss kommt eine Erhebung von Ärzte ohne Grenzen unter mehr als 150 einheimischen sowie binnenvertriebenen Familien im Regierungsbezirk al-Hasakah.

Die Befragung vom Juni, deren Auswertung jetzt vorliegt, zeigt, dass es vielen Menschen an grundlegenden Dingen des täglichen Lebens fehlt. So gaben 90 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht medizinisch behandeln ließen, weil ihnen entweder das Geld für Arztbesuche und Medikamente fehlte oder es in ihrer Umgebung keine funktionierende medizinische Infrastruktur gab.  

Das mittlere Haushaltseinkommen der Menschen in diesem Teil des Landes liegt bei 150 US-Dollar pro Monat, wobei die Spanne von 15 bis 200 US-Dollar reicht. Familien mit geringem Einkommen haben es schwer, sich mit Lebensmitteln zu versorgen: 77 Prozent der befragten Haushalte gaben an, mehrmals im Monat unter Lebensmittelknappheit zu leiden.

Darüber hinaus fehlt es an sauberem Wasser. Grund dafür sind neben Dürren und Folgen des Klimawandels auch Schäden an der Wasserinfrastruktur sowie eine gezielte Instrumentalisierung von Wasserressourcen. Der Betrieb des Wasserwerks Alouk, das die Hauptwasserquelle für fast eine halbe Million Menschen darstellt, wurde seit 2019 immer wieder unterbrochen. Nur 37 Prozent der befragten Haushalte gaben an, regelmäßig Zugang zu ausreichend Wasser für grundlegende Hygiene- und Haushaltsbedürfnisse zu haben.

„Wir baden jetzt alle fünf Tage. Wir müssen uns entscheiden, ob wir sauber sein oder trinken wollen“, sagt der 26-jährige *Khalid, der während des Konflikts nach al-Hasakah vertrieben wurde.

Unsere Zahlen unterstreichen die sich verschlechternde humanitäre Lage. Worum es hier geht, das ist nicht allein der Konflikt. Es geht darum, wie die Fähigkeit der Menschen, in Würde zu überleben, täglich weiter erodiert.

Barbara Hessel, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Nordostsyrien

Der Mangel an lebenswichtigen Dingen wie Wasser führt auch zu Ausbeutung. Und hier sind unverhältnismäßig häufig Frauen betroffen, da in erster Linie sie für die Wasserversorgung der Haushalte verantwortlich sind. In der Umfrage berichteten Frauen unter anderem, dass sie beim Versuch, Wasser zu besorgen, belästigt wurden oder ihnen Wasser im Austausch gegen Sex angeboten wurde.  

Viele Binnenvertriebene sagten, sie sähen keinen Weg, in ihre Heimatorte zurückzukehren, weil die Lage zu unsicher sei oder es an Unterkünften und humanitärer Versorgung fehle.  

Selbst wenn wir zurückzukehren wollten: Es gibt nichts, wohin wir zurückkehren könnten. Keine Hilfe, keine Unterkunft, keine Unterstützung. Aber ohne Hilfe ist eine Rückkehr nicht nur schwierig, sondern unmöglich

*Al’aa, eine Vertriebene aus Ras-Alain/Serekaniye

Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten an verschiedenen Orten im Nordosten Syriens medizinische Versorgung an, unter anderem für Menschen mit chronischen Krankheiten und für mangelernährte Kinder. Sie helfen außerdem bei der Trinkwasserversorgung.  

Es braucht jedoch weit mehr Hilfe. Ärzte ohne Grenzen appelliert dringend an Geber, humanitäre Organisationen sowie Behörden, ihre Finanzierung aufzustocken und für eine bessere Koordination von Hilfsmaßnahmen zu sorgen. Alle Konfliktparteien müssen dem humanitären Völkerrecht entsprechend die zivile Infrastruktur schützen, darunter die lebenswichtige Wasserversorgung.  

„Die Menschen hier stehen vor einer unmöglichen Entscheidung: Sollen sie von ihrem Geld Lebensmittel kaufen oder Medikamente oder Wasser?“, sagt Babara Hessel. „Ohne sofortige Investitionen und den notwendigen politischen Willen wird das Leid für Tausende Menschen weitergehen, obwohl es vermeidbar wäre.“

 

*Die Namen wurden zum Schutz der Befragten geändert.