
Ärzte ohne Grenzen betreibt in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Eisenbahn und dem Gesundheitsministerium zwei medizinische Züge, um Patient*innen aus frontnahen Krankenhäusern im Osten des Landes zu verlegen.
Unsere Hilfe in der Ukraine
Die aktuelle Situation in der Ukraine
Hunderttausende Menschen sind vor den Kämpfen in der Ostukraine in andere Regionen wie z.B. Dnipropetrowsk geflohen und suchen dort Zuflucht. Auch im Süden wird heftig gekämpft und die Frontlinien verändern sich schnell. Nicht alle können aber aus solchen Regionen fliehen: vor allem Ältere, Menschen mit Behinderung und solche, denen die Mittel für die Reise in die Westukraine oder ins Ausland fehlen, stecken in umkämpften Gebieten fest. Der Krieg in der Ukraine hat laut Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mehr als 9,5 Millionen Menschen zur Flucht im eigenen Land oder ins Ausland gezwungen. Wir arbeiten in mehr als einem Dutzend Orten in der Ukraine und sind auch in den Nachbarländern Belarus, Polen, Russland und der Slowakei präsent.
Derzeit sind rund 570 ukrainische und 133 aus dem Ausland eingereiste Mitarbeiter*innen im Land im Einsatz und leisten Hilfe. Da sich die Lage in den Kampfgebieten schnell ändert, beobachten wir kontinuierlich die Dynamiken, um unsere Mitarbeiter*innen zu schützen und unsere Aktivitäten an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen.
So helfen wir
- Wir liefern medizinische und humanitäre Hilfsgüter
- Wir schulen und beraten Personal in Krankenhäusern im Umgang mit Kriegsverletzten und Notfällen, in denen gleichzeitig eine große Zahl an Verletzten eingeliefert wird.
- Wir evakuieren Patient*innen mit medizinischen Zügen aus überlasteten Kliniken nahe der Front.
- Wir unterstützen bei der Versorgung von Überlebenden sexualisierter Gewalt: Wir bilden psychologische Ersthelfer*innen aus, schulen Mitarbeiter*innen in Frauenhäusern, beraten zu psychischer Gesundheit und bieten eine Telefon-Hotline für Menschen an, die von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sind.
- Wir versorgen Menschen in mobilen Kliniken.
- Wir sorgen dafür, dass Menschen mit chronischen Krankheiten ihre Behandlung fortsetzen können.
Medizinische Züge für den Krankentransport
In Zusammenarbeit mit der ukrainischen Bahn betreiben wir zwei Züge, mit denen wir Patient*innen aus Krankenhäusern nahe der Front im Osten und Süden in Kliniken im Westen des Landes evakuieren. Bislang wurden mehr als 1.000 Patient*innen und 78 Waisenkinder transportiert. Oft reisen auch Angehörige oder andere Begleitpersonen im Zug mit.

Wie funktionieren unsere medizinischen Züge in der Ukraine?
Mit unseren medizinischen Zügen bringen wir Patient*innen aus Krankenhäusern nahe der Kriegsfront im Osten und Süden in Kliniken im Westen des Landes.
Hilfsgüter liefern und medizinisches Personal schulen
Der Mangel an Medikamenten und medizinischem Material ist in den ukrainischen Krankenhäusern zu spüren. Deshalb liefern wir seit Kriegsbeginn medizinische Hilfsgüter für Chirurgie, Notaufnahmen und Intensivstationen. Wir konnten beispielsweise medizinische Güter nach Tschernihiw, Odesa und Schytomyr liefern. Neben akuten Notfällen gibt es auch Bedarf an Medikamenten für chronisch erkrankte Menschen. In Winnyzja in der Zentral-Ukraine leben beispielsweise zahlreiche Geflüchtete aus anderen Landesteilen. Unsere Teams betreiben in mehreren Notunterkünften mobile Kliniken, in denen Menschen mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Asthma, Diabetes, Herzkrankheiten und Epilepsie versorgt werden. Außerdem bieten sie psychologische Beratungen an und versorgen die Menschen mit wichtigen Haushalts- und Hilfsgütern.
Darüber hinaus haben wir Mitarbeiter*innen zahlreicher ukrainischer Krankenhäuser vor Ort oder aus der Ferne darin geschult, eine Vielzahl an Verletzten zu behandeln, die gleichzeitig eingeliefert werden (Triage) – so zum Beispiel in einem Kinderkrankenhaus in Kyjiw. Dort haben wir auch praktische Übungen in Kriegschirurgie abgehalten. Außerdem unterstützen wir mit Schulungen zur mentalen Gesundheit und mit Beratungen zur Behandlung von Überlebenden sexualisierter Gewalt in der Umgebung von Kyjiw.
Krankenhäuser werden getroffen
In der ukrainischen Stadt Mykolajiw wurden unsere Mitarbeiter*innen Anfang April bei einem Treffen mit Vertreter*innen der Gesundheitsbehörden und dem anschließenden Besuch einer onkologischen Klinik Zeug*innen eines Angriffs auf ein Krankenhaus.
Etwa zehn Minuten lang ereigneten sich mehrere Explosionen in unmittelbarer Nähe unserer Mitarbeitenden. Als unser Team die Umgebung des Krankenhauses verließ, haben sie mehrere Verletzte und mindestens eine Leiche gesehen. Wir können jedoch keine genaue Zahl an Toten und Verletzten nennen. Glücklicherweise wurden unsere Mitarbeitenden nicht verletzt.
- Michel-Olivier Lacharité, unser Einsatzleiter in Odesa
Zivilist*innen und humanitäre Helfer*innen müssen geschützt werden! Fliehende brauchen sichere Fluchtwege und den Zugang zu humanitärer Hilfe – nicht nur in für humanitäre Korridore ausgewiesenen Zeiten. Und humanitäre Helfer*innen, Gesundheitspersonal und Patient*innen dürfen kein Ziel von Angriffen sein.
Ostukraine: Versorgung in Dnipro, Saporischschja und der Oblast Donezk
In der Oblast Donezk unterstützen wir Krankenhäuser und Gesundheitszentren unter anderem bei der medizinischen Grundversorgung, bei der Behandlung von chronischen Krankheiten und bei der Traumabehandlung. Außerdem werden einige Krankenhäuser mit sogenannten Autonomie-Kits mit Solaranlagen, Generatoren und Wasservorräten ausgestattet, damit sie ihre Arbeit auch dann fortsetzen können, wenn die Strom- oder Wasserversorgung unterbrochen ist. Weiterhin unterstützen wir einige Krankenhäuser bei der Vorbereitung auf einen möglichen Massenzustrom von Verwundeten.
Wir betreiben einen Ambulanzdienst, mit dem Patient*innen aus Krankenhäusern nahe der Frontlinie in weiter entfernte Kliniken oder zu den medizinischen Zügen gebracht werden. Wir versuchen in der Region auch, mit Unterstützung von Freiwilligen jene Menschen zu erreichen, die geblieben sind oder zurückgelassen wurden. Diese meist älteren Menschen leben oft in unterirdischen Räumen und unter teils katastrophalen Bedingungen – ohne ausreichend Lebensmittel und Wasser, Licht, Sanitäranlagen und medizinische Versorgung.
Sasha Sholokov arbeitet seit 2017 als Arzt in unserem Team. Als der Krieg im Februar 2022 begann, floh er gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn aus seiner Heimatstadt Mariupol. Nachdem er seine Familie in Sicherheit gebracht hatte, kehrte er in die Ostukraine zurück und ist erneut mit uns im Einsatz.
Mit Beginn des Kriegs mussten wir unsere bisherige Arbeit im Luhansk und Donezk einstellen: Schon vorher war der Bedarf an medizinischer Hilfe groß. Seit acht Jahren sind die Menschen vom Konflikt in der Region betroffen.
Psychologische Unterstützung in mobilen Kliniken
In Dnirpro helfen wir Menschen, die aus Donezk und Luhansk geflohen sind, in vielen Unterkünften. Auch in Saporischschja unterstützen wir Vertriebene, die zu Tausenden aus Mariupol und anderen umkämpften Gebieten kommen. Mobile Teams sind im Hauptaufnahmezentrum und in mehr als 30 weiteren Unterkünften aktiv und versorgen die Menschen medizinisch, psychologisch sowie mit Hilfsgütern. Darüber hinaus bietet Ärzte ohne Grenzen Schulungen für das Personal von Krankenhäusern an. Unsere Psycholog*innen bieten Einzel – und Gruppensitzungen. Die Menschen sind schwer traumatisiert und viele haben die Hoffnung aufgegeben, in ihr altes Leben zurückkehren zu können. Angstzustände, Panikattacken und Schlafstörungen sind häufige Symptome bei den Menschen.
Mit der psychologischen Unterstützung, die unsere Teams anbieten, wollen wir den Menschen helfen, ein Gefühl von Kontrolle zurückzuerhalten.
- Lina Villa, unsere psychosoziale Beraterin
Hilfe in weiteren Landesteilen
Auch im Westen und Süden der Ukraine leisten wir u.a. in mobilen Kliniken eine medizinische Grundversorgung, so z.B. in der Stadt Winnyzia und im Großraum Kryvyi Rih.
Im Norden arbeiten wir in Schytomyr, wo wir TB-Patient*innen unterstützen. In Charkiw haben wir mehrere mobile Kliniken eingerichtet. Allerdings muss die Arbeit wegen der Kampfhandlungen immer wieder unterbrochen werden. Teams bieten u.a. auch in zwei Notunterkünften der Region medizinische Konsultationen und psychologische Beratung an und fahren in abgelegene Dörfer, um medizinische Hilfe anzubieten und Spenden zu verteilen.
Hilfe für Vertriebene und Geflüchtete
Zu Fuß, in Autos und Bussen fliehen Menschen vor den Kämpfen in der Ukraine. Es sind vor allem Frauen, Kinder und Ältere, die ihr Zuhause verlassen. Viele sind erschöpft und traumatisiert. Die Stadt Saporischschja ist für viele Geflüchtete aus dem Südosten der Ukraine die erste Station. Unsere Teams helfen im zentralen Aufnahmezentrum und unterstützen die Menschen psychologisch und behandeln chronische Krankheiten. Wir bieten ihnen einen sicheren Ort für ihre Emotionen und geben ihnen Orientierung in der neuen Situation.
Wir helfen den Fliehenden – teilweise auch auf beiden Seiten der Grenzen. Unsere Unterstützung passen wir kontinuierlich an die Bedarfe in Nachbarländern wie der Slowakei, Russland und Belarus an.

Geflüchtete aus der Ukraine
Zu Fuß, in Autos und Bussen überqueren die Menschen die Grenze und fliehen vor den Kämpfen in der Ukraine. Wir leisten auch in Nachbarländern Hilfe.
Mitarbeiten bei Ärzte ohne Grenzen
Wir freuen uns über die große Bereitschaft, sich für die Menschen in der Ukraine zu engagieren! Unser Bewerbungsverfahren läuft allerdings generell so ab, dass sich Interessent*innen nicht für bestimmte Länder bewerben können. Nach einem erfolgreichen Verfahren entscheiden wir auf Grundlage der aktuellen Dringlichkeit, in welchem unserer weltweiten Projekte ggf. neue Mitarbeiter*innen eingesetzt werden.
25. Juli 2022
-
77.8Jahre im Durchschnitt.
In Deutschland: 83.7 Jahre -
68Jahre im Durchschnitt.
In Deutschland: 78.9 Jahre -
167Mitarbeiter*innen waren für uns im Einsatz.
-
6.9Millionen Euro haben wir für unsere Hilfe vor Ort aufgewendet.
Quellen: WHO (2019), MSF International Activity Report 2021 (2022)
Unsere Aktivitäten in der Ukraine bis zum Ausbruch des Kriegs im Februar 2022
Medizinisches Angebot in konfliktreicher Region
Wir unterstützten die Behörden in der Ukraine dabei, die Gesundheitsversorgung in der entlegenen und konfliktreichen Region Donezk zu verbessern. Dabei halfen uns auch Freiwillige, die beispielsweise kranke Dorfbewohner*innen mit ihren privaten Autos in medizinische Einrichtungen fuhren. In diesen Einrichtungen boten wir dem Personal technische und praktische Hilfe an. Wir spendeten medizinisches Zubehör, darunter wichtige Medikamente für Gesundheitseinrichtungen.
HIV- und Tuberkulose-Versorgung
Die Behandlung fortgeschrittener HIV-Infektionen war auch im Jahr 2021 in der Ostukraine eine Herausforderung. In Luhansk arbeiteten unsere Mitarbeiter*innen mit einer spezialisierten Einrichtung des Gesundheitsministeriums für HIV-Patient*innen und dem Hauptlabor für HIV-Tests zusammen. Unsere Teams betreuten und schulten das Pflege- und medizinisches Personal und boten den Patient*innen psychologische und soziale Unterstützung an. Außerdem spendeten wir Test- und Laborausrüstung.
In Zhytomyr betreuten wir ein Tuberkulose-Projekt, in dem Patient*innen mit resistenten Tuberkuloseformen behandelt werden. Hier arbeiteten wir mit dem regionalen Tuberkulosekrankenhaus zusammen, um ein patientenzentriertes Versorgungsmodell für multiresistente Tuberkulose umzusetzen. Seit 2019 forschen wir zu der Wirksamkeit kürzerer, rein oraler Behandlungen von Tuberkulose. Zu dieser Form der Behandlung gehören auch Beratungsmodelle und Versorgung der Patient*innen, unter anderem mit Brennholz und Lebensmittelpaketen. Zudem halfen wir beim Ausbau eines Labors mit modernen Diagnoseinstrumenten, damit die Patient*innen so schnell wie möglich die richtige Behandlung beginnen können.
Unterstützung in der Pandemie
In Kyjiw, Donezk und Zhytomyr unterstützten wir zudem die Behörden bei der Covid-19-Bekämpfung. Wir spendeten Schutzausrüstung, Schnelltests und Sauerstoffkonzentratoren für Gesundheitseinrichtungen. Darüber hinaus boten wir den unter starkem Druck stehenden Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens sowie den Patient*innen und Gemeinden psychologische Unterstützung an. In Donezk behandelten wir Patient*innen mit leichten bis mittelschweren Symptomen mit unseren mobilen Kliniken direkt bei ihnen zu Hause.