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Asyl- und Migrationspolitik: Wenn Staaten zu Türstehern werden

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Porträt Felix Braunsdorf

Felix Braunsdorf

Ich bin Experte für Flucht und Migration und arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen.

Weltweit schließen Regierungen Abkommen, um Menschen auf der Flucht aufzuhalten. Immense Summen fließen in Mauern, Stacheldraht, Überwachung sowie in fragwürdige Deals. Die Militarisierung des Grenzschutzes schreitet voran – sowohl in Europa als auch in den USA.  

Die Erfahrung von Ärzte ohne Grenzen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko hat gezeigt, dass die Errichtung von Hindernissen die Migration nicht aufhält. Stattdessen sind die Menschen gezwungen, sich gefährlichen und grausamen Situationen auszusetzen." 

Title 42 – ein Gesetz zum Abschieben 

Heute, am 11. Mai 2023, ist der Covid-19-Notstand in den USA offiziell vorbei. Mit ihm verschwindet eine Regelung, die unter der Regierung Trump eingeführt wurde: Jede Person, die die Grenze in die USA überschreitet, nach Mexiko abzuschieben. Der „Title 42“. Obwohl die Covid19-Bestimmungen in den USA längst gelockert wurden, hatte die Regierung unter Biden den Title 42 beibehalten.  

Noch im Januar erklärte sich der mexikanische Präsident López Obrador auf Drängen der USA bereit, jeden Monat bis zu 30.000 abgeschobene Migrant*innen aus vier Ländern - Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela – "zurückzunehmen”. Gleichzeitig versprachen die USA, die gleiche Anzahl von Menschen aus diesen vier Ländern aufzunehmen. Aber eben nur unter ganz bestimmten Bedingungen: Migrant*innen müssen ihren Antrag aus dem Ausland heraus stellen und einen in den USA ansässige Bürg*in nachweisen. Diese Notstandsregel bekommt nun eine rechtliche Grundlage als Migrationsabkommen zwischen USA-Mexiko. 

Die Zeit läuft gegen uns 

Die Umsetzung der angekündigten Maßnahme bedeutet nun, dass Menschen länger an Orten bleiben müssten, an denen ihre Sicherheit nicht gewährleistet ist. Viele von ihnen sind bereits durch frühere Gewalterfahrungen und unsichere Lebensverhältnisse erheblich beeinträchtigt.  

Wir behandeln in der Grenzregion meist Patient*innen mit Erkrankungen der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts und mit Hautkrankheiten. Außerdem kommen Verletzungen hinzu, die auf lange und gefährliche Fußmärsche zurückzuführen sind."

Darüber hinaus entwickeln viele aufgrund der Ungewissheit ihrer Situation und der Trennung von der Familie (einschließlich der reisenden Kinder) emotionale Erkrankungen wie Stress, übermäßige Angst, ständige Sorge und in schweren Fällen psychische Störungen. Aufgrund der enormen Verzögerung durch die neue Maßnahme - den “Deal” - stehen sie nun vor zusätzlichen erheblichen Einschränkungen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung und anderen grundlegenden Dienstleistungen. 

Diese Art der Dealpolitik kennen wir aus Europa 

Das wohl bekannteste Beispiel: Der EU-Türkei-Deal von 2016. Damals bezahlte die EU die Versorgung von syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Außerdem wurde die Türkei dabei unterstützt, ihren Grenzschutz auszubauen und Boote, die von türkischen Küsten in Richtung Europa ablegen, zu stoppen.  

Im Gegenzug sollten ab einem Stichtag alle Geflüchteten, die von der Türkei aus in Europa ankamen, zurück in die Türkei abgeschoben werden. Geplant war, dass die EU-Staaten für jeden syrischen Flüchtling, der in die Türkei zurückgeführt würde, einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen sollten.  

Warum ist der EU-Türkei-Deal gescheitert?  

Der 1:1 Mechanismus des Deals funktionierte von Anfang an nicht: Einerseits, weil die Abschiebungen vor Gericht oft nicht bestanden, und andererseits, weil die Türkei sich bald weigerte, Personen zurückzunehmen. Seit 2020 nimmt die Türkei keine abgelehnten Asylsuchenden mehr zurück und hat damit diesen Teil des Deals de facto aufgekündigt. Weil die Ankunftszahlen in Griechenland allerdings tatsächlich sanken, entstand in der Öffentlichkeit das verfälschte Bild des „effektiven Deals“.  

Der EU-Türkei-Deal sendete ein fatales Signal an die Welt 

Bereits damals warnte Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vor den dramatischen Folgen des EU-Türkei-Deals. Denn der Deal beschädigte nicht nur die Rechte der Schutzsuchenden und instrumentalisierte die humanitäre Hilfe. Er sendete auch ein fatales Signal an den Rest der Welt: Länder können sich aus ihrer Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden freikaufen.  

Die Schatten des Gesetzes 

Nun also sollen neue Regeln an der Grenze zwischen USA und Mexiko gelten. Der einzig andere legale Weg – wenn man nicht zu den 30.000 Austausch-Migrant*innen zählt - um ab jetzt in den USA Asyl zu beantragen, führt über eine App. Mittels ihrer Hilfe sollen schutzsuchende Personen einen Termin bei der US-Einwanderungsbehörde buchen. Was im ersten Moment praktisch klingt, bedeutet in der Realität jedoch lange Wartezeiten.  

Denn die wenigen Termine sind schnell ausgebucht. Außerdem muss man eine gewisse Technikaffinität mitbringen und klar definierte Voraussetzungen erfüllen. Für viele der Menschen, die an den Grenzen in prekären Lebensumständen ausharren, eine schier unmögliche Aufgabe. De facto bedeuten die neuen Regeln also das Ende des individuellen Zugangs zu einem Asylverfahren an der Grenze.  

Ein gefährlicher Trend 

Staaten als Türsteher entlang der Fluchtrouten mittels Deals einzuspannen ist ein gefährlicher Trend. Denn Menschen auf der Flucht gehen immer höhere Risiken ein, um vor Verfolgung, Gewalt und Perspektivlosigkeit zu fliehen. Die menschenrechtliche Errungenschaft des Flüchtlingsschutzes war es bisher, Menschen auf der Suche nach Sicherheit ein faires Verfahren zu garantieren. Dieses Recht muss weiterhin verteidigt werden – und zwar weltweit.