Viele unserer Patient*innen sind auf der Flucht. Sie stoßen zunehmend auf militarisierte Grenzen und schwindende Solidarität der Staatengemeinschaft. Wir beobachten, dass Grundrechte wie das Recht auf Asyl immer offener infrage gestellt werden. Politiker*innen – auch in Deutschland – nutzen zunehmend eine Rhetorik, die Schutzsuchende als Bedrohung der inneren Sicherheit dargestellt und nicht als Individuen mit Würde und Rechten. Diese schleichende Entmenschlichung ebnet den Weg für Ausgrenzung, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen.
Was die neue Migrationspolitik für Schutzsuchende bedeutet
Die ersten Tage der neuen Bundesregierung zeigen: Mit der ausgerufenen „Migrationswende“ ist dieser Trend nun auch offiziell in Deutschland angekommen. Schutzsuchende werden an deutschen Grenzen abgewiesen, Resettlement und humanitäre Aufnahmeprogramme sollen weitgehend beendet, Asylverfahren außerhalb Europas ausgelagert werden.
Für eine humanitäre Organisation wie Ärzte ohne Grenzen, die weltweit Menschen auf der Flucht medizinisch versorgt, ist klar: Diese Politik hat direkte und teils schwerwiegende Folgen für die Gesundheit, Sicherheit und Würde der Betroffenen.
1. Pushbacks an deutschen Grenzen: Gefahr für Leib und Leben
Kaum war die neue Bundesregierung im Amt, schon gab der Innenminister eine Weisung aus, die der Bundespolizei erlaubt, Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückzuweisen. Seitdem finden Pushbacks an deutschen Grenzen statt:
Schutzsuchende Menschen werden kurz nach dem Grenzübertritt zurückgewiesen – ohne individuelle Prüfung der Asylgründe. Die Bundespolizei betont, dass besonders schutzbedürftige Personen – etwa Schwangere, Kranke oder unbegleitete Minderjährige – nicht zurückgewiesen werden. Doch wie sollen Grenzbeamt*innen ad hoc an der Grenze feststellen, ob jemand schwer traumatisiert, krank oder schwanger ist?
Die gesundheitlichen Folgen von Pushbacks sehen wir bereits an der polnisch-belarussischen Grenzen, wo die polnische Regierung das Asylrecht ausgesetzt hat und mit Gewalt Menschen zurückdrängt. Unsere Teams dort behandeln Menschen mit Blutergüssen, Hundebissen, Knochenbrüchen und Schnittverletzungen. In vielen Regionen der Welt sehen wir, wie Grenzgewalt zum Alltag wird – und humanitäre Hilfe systematisch erschwert oder verhindert wird: Die USA verweigern Menschen zunehmend den Zugang zu fairen Asylverfahren. Auf den griechischen Inseln werden Menschen in Schlauchbooten von maskierten Männern abgefangen, beschimpft, gefesselt, geschlagen und ihrer persönlichen Gegenstände beraubt. Die lybische Küstenwache verschleppt mit der Hilfe Europas Schutzsuchende in Seenot zurück ins unsichere Libyen und an der Grenze zwischen Algerien und Niger werden Menschen ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ausgesetzt.
2. Perspektivlosigkeit für besonders gefährdete Menschen
Der Koalitionsvertrag sieht vor, freiwillige Aufnahmeprogramme so weit wie möglich zu beenden. Das könnte auch das UN-Resettlement-Programm betreffen, das besonders gefährdeten Menschen in Krisenregionen einen sicheren und geordneten Zugang zu Schutz in Deutschland ermöglicht, wenn sie vor Ort keinen ausreichenden Schutz erhalten beziehungsweise wenn der dauerhafte Verbleib dort nicht zumutbar erscheint.
Das Streichen dieser Programme ist ein Schritt in die falsche Richtung und nimmt besonders gefährdeten Menschen die Perspektive auf ein Leben in Sicherheit. Es braucht mehr sichere Wege für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, nicht weniger. Zum Beispiel aus Ländern wie Libyen, wo Geflüchtete und Migrant*innen häufig in einem System aus Internierungslagern, Zwangsarbeit, Folter und Erpressung gefangen sind.
3. Asylverfahren auslagern auf Kosten von Gesundheit und Menschenrechten
Der Koalitionsvertrag belegt zudem, dass die neue Bundesregierung entgegen besseren Wissens versucht durch die europäische Hintertür die Idee der Auslagerung von Asylverfahren weiter zu verfolgen: Das Konzept der sicheren Drittstaaten soll geändert werden und damit würde es möglich, Menschen in Drittstaaten zu verbringen – auch wenn sie dort weder zuvor gelebt oder sonstige Verbindung zu diesem Land haben. Die Wortwahl im Koalitionsvertrag mag sich geändert haben – statt „Auslagerung“ ist nun von „Verbringung“ die Rede – doch an der Praxis und ihren gravierenden Folgen für die Menschen ändert sich nichts.
Die Regierung sollte ihren eigenen Bericht zum Thema ernst nehmen, zu dem auch Ärzte ohne Grenzen medizinische Daten beigesteuert hat. Der Ansatz der Auslagerung von Asylverfahren ist nicht nur rechtlich fragwürdig, extrem teuer und in der Praxis kaum umsetzbar, sondern hat auch schwerwiegende Folgen für die psychische und physische Gesundheit der Menschen.
Ein globaler Trend: Menschlichkeit steht auf dem Spiel
Weltweit beobachten unsere Teams wie Staaten versuchen, mittels neuer Grenzregime Recht zu umgehen und Pushbacks, Gewalt und Verweigerung von Hilfe gegenüber Schutzsuchenden den Anschein von Legitimität zu geben. In diesem globalen Kontext ist es umso wichtiger, dass die Bundesregierung sich gegen die stellt, die nach Abschottung und Abwendung von Humanität und Völkerrecht rufen.
Der Umgang mit Schutzsuchenden ist ein Gradmesser für Menschlichkeit in einer Gesellschaft. Die ersten Tage der neuen Bundesregierung machen wenig Hoffnung in dieser Hinsicht.
Wir fordern die Bundesregierung auf, das Recht auf Asyl und humanitäre Prinzipien zu verteidigen. Es braucht sichere Fluchtwege, menschenwürdige Aufnahmebedingungen und eine Stärkung des internationalen Schutzsystems.