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„Plumpy’nut! - So ein Päckchen Fertignahrung mit Erdnusspaste hatte ich Jahrzehnte nicht gesehen“

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Portrait: Moses Soro

Moses Soro

Ich arbeite für Ärzte ohne Grenzen als Finanz- und Personalmanager in Großbritannien. In meiner Kindheit, als ich in einem Geflüchtetencamp in Uganda aufwuchs, hätte ich mir eine solche Perspektive nicht vorstellen können. Hier erzähle ich von meiner Geschichte und berichte, weshalb ich mich im Einsatz meinen syrischen Kolleg*innen nahe fühlte.   

Vor einiger Zeit war ich in Syrien im Einsatz. Dort sorgte ich als Personal- und Finanzmanager dafür, dass unsere medizinischen Projekte über das nötige Personal und die nötigen Mittel verfügten. In einem unserer Projekte behandelten wir mangelernährte Patient*innen mit therapeutischer Fertignahrung – einer speziellen, kalorienreichen Erdnusspaste, die Plumpy’nut heißt. 

Ich hatte diese Päckchen mit der Paste das letzte Mal gesehen, als ich selbst ein Kind und akut mangelernährt war.

Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, aber wahrscheinlich waren es Mitarbeiter*innen von Ärzte ohne Grenzen, die mir und meiner Familie die Erdnusspaste gaben, die wahrscheinlich mein Leben gerettet hat. 

Vor der Unabhängigkeit des Südsudans: Meine Kindheit im Kriegsgebiet 

Wie es dazu kam, dass ich mit Ärzte ohne Grenzen arbeitete, ist eine sehr lange Geschichte. Ich versuche, sie hier kurz zusammenzufassen: Ursprünglich komme ich aus dem Südsudan. Bevor der Südsudan ein unabhängiges Land war, gehörte er zum Sudan. 

Während ich klein war, herrschte ein lang anhaltender Krieg zwischen dem Süden und dem Norden. Immer wieder sah ich Verwundete, die bei Kämpfen verletzt wurden. Als ich in der Grundschule war, wurden wir alle zu militärischen Übungen verpflichtet. Meine Familie und ich mussten mehrmals umziehen, um den näherkommenden Kämpfen zu entkommen. 

Eines Tages holte uns der Konflikt abermals ein. Ich erinnere mich an das Geräusch der fallenden Bomben, die Flugzeuge über uns. Ich hatte Angst davor, dass auch wir zum Ziel werden könnten.   

Damals war ich noch jung, im frühen Teenageralter. Meine Eltern trafen die Entscheidung zu gehen. Wir mussten evakuiert werden, um aus dem Kriegsgebiet herauszukommen. Alle Einwohner*innen unserer Stadt und der Nachbardörfer überquerten die Grenze nach Uganda und wurden zu Flüchtlingen.  

Mehrere meiner Brüder und Schwestern starben 

In Uganda waren wir zwar vor dem Konflikt sicher, aber die Bedingungen waren hart. Wir lebten in den Wäldern, schliefen im Freien und waren den Elementen und dem Regen ausgesetzt. Wir konnten uns nicht vor Moskitos schützen, und viele Menschen bekamen Malaria. Am Anfang gab es keine Latrinen, und so brach Cholera aus. 

Viele erkrankten und überlebten nicht, vor allem Kinder. Ich stamme aus einer großen Familie, und mehrere meiner Brüder und Schwestern starben. 

Aber dann erreichten Teams von Ärzte ohne Grenzen unser Lager. Sie waren als Erste vor Ort. Ich selbst wurde von ihnen behandelt. Das hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Dann ging es mir besser, andere Organisationen kamen, und das Lager wurde von offiziellen Stellen betrieben.  

Eines Tages werde ich bei Ärzte ohne Grenzen arbeiten 

Als ich später die Schule und noch viel später sogar die Universität besuchte, sagte ich mir immer wieder: Eines Tages werde ich bei Ärzte ohne Grenzen arbeiten und mich für die Hilfe und die Großzügigkeit, die ich erfahren habe, revanchieren. 

Denn mir war bewusst: Ohne Ärzte ohne Grenzen wäre ich wohl schon tot. Wie meine Brüder, wie meine Cousins, wie all die Menschen, die es nicht geschafft hatten. 

Mein Versprechen an mich selbst nicht vergessen 

Schließlich wurde unsere Familie umgesiedelt. Ich kam nach Großbritannien und studierte internationale Beziehungen an der Universität. Nachdem der Südsudan 2011 unabhängig wurde, kehrte ich dorthin zurück und machte eine Ausbildung im Bankwesen. Im Anschluss arbeitete ich für eine internationale Nichtregierungsorganisation, die Politiker*innen mit Trainings unterstützte. Später für eine andere Organisation, die sich im bürgerschaftlichen Engagement einsetzte, bevor ich selbst in der Politik tätig wurde. 

Doch ich hatte mein Versprechen an mich selbst nicht vergessen. Gleichzeitig war mir klar, dass ich nicht zu Ärzte ohne Grenzen gehen wollte, solange ich in der Politik aktiv war. Das ist nicht mit den Werten der Organisation vereinbar, die auf Neutralität und Unparteilichkeit ausgerichtet sind. 

Dann war es für mich zunächst an der Zeit, zurück nach Großbritannien zu gehen. Ich absolvierte ein Masterstudium in Personalmanagement, um meine Kenntnisse zu vertiefen. Und schließlich habe ich mich bei Ärzte ohne Grenzen beworben. 

Syrien: Was die Menschen durchmachten, ähnelte dem, was ich erlebt hatte 

Als mir ein Projekt in Syrien angeboten wurde, zögerte ich nicht. Ich hatte Nachrichtensendungen über den Krieg im Fernsehen gesehen und hatte die Verwüstung im Land mitbekommen.

Es ist schwer zu vergleichen, aber ich hatte das Gefühl, dass das, was die Menschen durchmachten, in gewisser Weise dem ähnelte, was ich selbst erlebt hatte – oder noch schlimmer. 

Ärzte ohne Grenzen leistet in sehr verschiedenen medizinischen Projekten in Syrien Hilfe, und ich konnte in zweien davon mitarbeiten. In dem einen versorgten wir chronisch erkrankte Menschen mit lebenswichtigen Medikamenten, in dem anderen behandelten wir Tuberkulose-Patient*innen, die sich in Haft befanden. 

Hoffnung, den Syrer*innen mit meiner Geschichte etwas Mut zu machen 

Meine Aufgabe lagen vor allem im administrativen Bereich. Ich kümmerte mich zum Beispiel darum, dass wir syrisches Personal einstellten und trug dafür Sorge, dass unsere Abläufe und unsere Grundsätze für alle transparent waren. Wir organisierten auch viele Schulungen und Trainings, um die Kenntnisse unseres Teams zu stärken. 

Ich habe mich meinen syrischen Kolleg*innen immer sehr nahe gefühlt und habe ihnen erzählt, dass ich selbst als Kind vor einem Krieg geflohen bin – dass ich weiß, wie es ist, vertrieben zu werden. Viele Syrer*innen haben das Land verlassen, aber viele andere sind innerhalb Syriens vertrieben worden.

Ich hoffte, dass ich ihnen mit meiner Geschichte etwas Mut machen konnte, etwas Hoffnung geben. Ich wollte ihnen zeigen, dass sich die Lage irgendwann beruhigen kann und sie wieder glücklich leben können. 

Plumpy’nut sollte mich an meine Rettung erinnern 

Eines Tages entdeckte ich in meinem Büro in Syrien eine Packung Plumpy’nut. Ich beschloss, ein Päckchen davon in meinem Schreibtisch aufzubewahren. Es sollte mich daran erinnern, was mich gerettet hat und warum wir dort waren. 

Jetzt bin ich wieder in Großbritannien. Ich hatte mir vorgenommen, die Packung mit nach Hause zu bringen, um sie meinen Kindern zu zeigen. Ich wollte, dass sie sie anschauen können, um ihnen zu sagen: „Seht mal, ohne das hier wäre ich nicht da, um euch ein Vater zu sein". 

Aber in all der Eile der Abreise vergaß ich die Packung in meinem Schreibtisch in Syrien. Kurz ärgerte ich mich, dass ich sie meinen Kindern nicht zeigen konnte, doch stattdessen erzähle ich ihnen von meiner Arbeit für Ärzte ohne Grenzen – wie wir Leben retten, und wie sie mir einst geholfen haben.