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Ukraine

Ukraine: Ausgebombte Geisterstädte und überfüllte Schutzräume - Vertriebene kämpfen ums Überleben

  • Notunterkünfte im Osten des Landes sind überfüllt, viele Menschen mussten flüchten und sind in der Region Dnipropetrowsk untergebracht.
  • Mobile Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln Patient*innen, die Monate ohne notwendige Medikamente für Bluthochdruck, Diabetes und Asthma auskommen mussten.
  • Mehr als 190.000 Menschen mussten nach UNHCR-Angaben allein dieses Jahr innerhalb der Ukraine in sicherere Gebiete flüchten. 

Die Kämpfe nehmen im bald vierten Kriegsjahr zu und Orte nahe der Frontlinie bei Dnipropetrowsk sind weitgehend von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten. Ganze Städte und Ortschaften werden in Schutt und Asche gelegt. Auch die Routen, auf denen Menschen in Sicherheit gebracht werden, geraten immer wieder unter Beschuss. Im Jahr 2025 ist die Zahl ziviler Opfer massiv angestiegen.  

Ein Angriff in Pokrowske am 29. September verdeutlicht die Lage: Teams von Ärzte ohne Grenzen behandelten Patient*innen auf der Intensivstation eines Krankenhauses als das Gebäude von Explosionen erschüttert wurde. Acht Verletzte wurden mit Splitterwunden, Verletzungen der Extremitäten und Schädelhirnverletzungen eingeliefert und vor Ort stabilisiert.  

Während tausende Menschen aus den Frontgebieten fliehen, ist die Region Dnipropetrowsk ein kritischer logistischer Knotenpunkt geworden. Die Schutzräume dort sind stark überfüllt. Als die Zahl Binnenvertriebener im Juli und August anstieg, beherbergte eines der größten Transitlager 500 Menschen am Tag, obwohl der Platz nur für 140 ausgelegt war. Mobile Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten in diesen Notunterkünften medizinische und psychologische Behandlungen an, vor allem für ältere Menschen. Seit April 2025 haben die Teams mehr als 1.400 Patient*innen betreut und beobachten einen steigenden Bedarf sowie eine zunehmende Schwere der Fälle.  

„Meine Stadt Kostjantyniwka liegt in Trümmern. Nichts ist mehr übrig. Kein Wasser, kein Gas, keine Polizei, keine Feuerwehr”, sagt Valerii Bureiko (68), der mit seiner Frau und Schwiegermutter ein Transitzentrum erreicht hat, in dem auch Ärzte ohne Grenzen arbeitet. „Darum haben wir uns entschieden zu fliehen. Für junge Leute ist es einfacher, aber in unserem Alter könnten wir uns an einem neuen Ort nichts aufbauen, es war eine sehr schwere Entscheidung.” 
 
Viele Ortschaften haben sich in Geisterstädte verwandelt: Leere Straßen und schwarze Bäume zeugen von Explosionen, die Häuser sind unbewohnbar und jegliche Gesundheitsversorgung außer Reichweite. Im Jahr 2022 hatten Teams von Ärzte ohne Grenzen Krankenhäuser in Dnipro und den Regionen Dnipropetrowsk und Donezk instandgesetzt.  

Doch heute sind vieler dieser Krankenhäuser beschädigt, zerstört oder mussten aufgegeben werden. Während der vergangenen drei Monate mussten Krankenhäuser in Kostjantyniwka, Meschowa und Swjatohirsk die Arbeit einstellen. Insgesamt musste sich Ärzte ohne Grenzen seit 2022 aus sechs Krankenhäusern und Rettungsstellen zurückziehen. Auch die mobilen Teams waren gezwungen, einige Standorte aufgrund von Beschuss und Bombardements aufzugeben. 

„Viele Menschen müssen zu Fuß fliehen. Sie legen unter Drohnenangriffen 15 bis 20 Kilometer auf Krücken und mit Gehilfen über unwegsames und vermintes Gelände zurück”, sagt Ivan Afanasiev, der als Arzt für Ärzte ohne Grenzen in einer Notunterkunft arbeitet. „Die meisten Menschen sind bereits älter, 60 bis 70 aufwärts und aufgrund unbehandelter chronischer Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Diabetes oder Asthma aber auch Mangelernährung und Anämie, bereits geschwächt.” 

Die Teams sehen Patient*innen mit unbehandelten Brüchen und Splitterwunden. Einige werden mit offenen, von Maden befallenen Wunden eingeliefert, andere mit Anzeichen eines Herzinfarkts. Wieder andere sind unterkühlt oder haben akute Asthmasymptome. 

Auch nach dem Verlassen der Frontgebiete fühlen sich Menschen in den Notunterkünften nicht sicher. Städte, die als Evakuierungszentren dienen, werden häufig Ziel von Drohnen- und Raketenangriffen. In Pawlohrad, wo das nächste große Transitzentrum nahe der Front liegt, kommt es immer wieder zu Bombenangriffen. Die meisten Menschen fliehen weiter nach Westen und bleiben nur kurz in den Transitunterkünften.