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Ukraine

Ukraine: Immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen

Winnyzja/Berlin, 10. Juni 2025. Bei mehr als der Hälfte der ukrainischen Bevölkerung hat sich infolge des Krieges die psychische Gesundheit deutlich verschlechtert. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist es das größte Gesundheitsproblem in der Ukraine. 46 Prozent der Menschen leiden unter psychischen Problemen, gefolgt von psychischen Störungen (41 Prozent) und neurologischen Erkrankungen (39 Prozent). Ärzte ohne Grenzen behandelt Patient*innen mit dringendem Bedarf an psychologischer Unterstützung in zahlreichen Regionen des Landes. In Winnyzja betreibt die Organisation ein Zentrum, das auf die Behandlung von Menschen spezialisiert ist, die unter traumatischem Stress leiden.

„Die Zahl der Patient*innen in unserem Zentrum, die wegen posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) behandelt werden, ist von 57 Menschen im Januar 2024 auf 118 Ende April 2025 gestiegen”, beschreibt Christine Mwongera, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen, die Lage in dem spezialisierten Zentrum in Winnyzja. „Wir beobachten einen erheblichen Bedarf an psychologischer Unterstützung, vor allem bei Männern.”

Die Organisation konzentriert sich bei der psychologischen und psychosozialen Hilfe in der Ukraine auf Gruppen, die besonders betroffen sind: Menschen, die in der Nähe der Front leben, die vom Kriegsgeschehen direkt betroffen sind, sowie Schwerverletzte und ihre Familienangehörigen. Auch Binnenvertriebene und Menschen, die Angehörige verloren haben, werden unterstützt.

In dem Zentrum für psychische Gesundheit in Winnyzja helfen Ärzt*innen, Psychiater*innen, Psycholog*innen und Gesundheitspfleger*innen Menschen, die infolge des Krieges an PTBS erkrankt sind. Seit Jahresbeginn suchen dort immer mehr Menschen mit psychischen Traumata nach Hilfe. Patient*innen können individuelle Therapieangebote sowie Gruppentherapien in Anspruch nehmen. Doch trotz des gestiegenen Bedarfs zögern vor allem Männer häufig, Hilfsangebote wahrzunehmen. Grund ist die Stigmatisierung psychischer Probleme.

Für Angehörige ist es oft schwierig, Menschen zu unterstützen, die nach ihrer Rückkehr aus vom Krieg besonders betroffenen Regionen wieder in den Alltag zurückzufinden wollen. Viele, die unter PTBS leiden, denken, sie kämen ohne medizinische Hilfe zurecht. Diese oft unsichtbare Krankheit kann die Lebensqualität jedoch erheblich einschränken und zu riskantem Verhalten führen. Der Alltag wird dann zu einem Kreislauf aus Trauma, Isolation und körperlicher Erschöpfung, der chronische Gesundheitsprobleme weiter verschlimmert.

So auch zunächst bei dem 27-jährigen Kriegsveteran Oleksandr Zelenii, der bei einer Explosion in der Region Luhansk schwer am Kopf verletzt wurde und seitdem unter Schlafstörungen, Gedächtnisverlust und PTBS-Symptomen leidet – darunter Reizbarkeit und Antriebslosigkeit.

Ich saß meinem Therapeuten gegenüber und sagte ihm, dass mich einfach alles belastete. Nach jahrelanger Behandlung und psychologischer Hilfe durch Ärzte ohne Grenzen fühle ich mich nun ausgeglichener und ruhiger. Ich habe mich sogar für einen neuen Job beworben, bei dem ich anderen auf ihrem Genesungsweg helfen kann. Ich bin bereit, meine Erfahrung weiterzugeben.

Oleksandr Zelenii, 27-jähriger Kriegsveteran

 

Ärzte ohne Grenzen in der Ukraine:  

Seit der Ausweitung des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 hat Ärzte ohne Grenzen seine Hilfsangebote angepasst, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Im Jahr 2025 konzentriert sich die Organisation unter anderem auf Krankentransporte, um schwer verletzte Menschen aus Frontgebieten in sicherere Regionen zu bringen. Weiterhin bietet Ärzte ohne Grenzen in mobilen Kliniken medizinische Konsultationen und versorgt Menschen in Frontnähe mit dringend benötigten Medikamenten. In der Region Tscherkasy kümmert sich die Organisation um Rehabilitation von Schwerverletzten, in der Region Winnyzja unter anderem um Patient*innen mit psychologischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen. Zusätzlich betreiben die Teams von Ärzte ohne Grenzen mobile Kliniken in Städten und Dörfern der Regionen Cherson, Donezk, Mykolajiw, Dnipropetrowsk und Charkiw. Dort bieten sie eine medizinische Grundversorgung, psychologische Beratungen und Aufklärungsangebote über psychische Gesundheit sowie sexuelle und reproduktive Versorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit an.