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Sudan

Sudan: Ärzte ohne Grenzen verurteilt massive Gräueltaten in al-Faschir und warnt vor weiterer Gewalt

Paris/Berlin, 1. November 2025. Ärzte ohne Grenzen verurteilt die schrecklichen Gräueltaten und Tötungen, die vergangene Woche in und um al-Faschir einen neuen Höhepunkt erreicht haben. Diese erfolgten wahllos und auch ethnisch motiviert. Die medizinische Hilfsorganisation befürchtet, dass sehr viele Menschen weiterhin in großer Gefahr sind und von den Rapid Support Forces (RSF) und ihren Verbündeten daran gehindert werden, sicherere Gebiete, wie Tawila, zu erreichen.  

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten in Tawila und bereiteten sich auf einen massiven Zustrom Vertriebener und Verletzter vor, als al-Faschir, die 60 Kilometer entfernte Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur, am 26. Oktober nach 17 Monaten zermürbender Belagerung und Angriffen von den Rapid Support Forces eingenommen wurde. In den vergangenen Monaten flohen nach jeder größeren Eskalation der Gewalt in al-Faschir sehr viele Menschen nach Tawila. Laut Vereinten Nationen lebten in al-Faschir Ende August noch 260.000 Menschen. In den vergangenen fünf Tagen gelang es jedoch laut Angaben von Hilfsorganisationen vor Ort nur etwas mehr als 5.000 Menschen, sich nach Tawila durchzuschlagen. Sie berichten von Massakern und sprechen von Menschen, die in al-Faschir und den benachbarten Städten sowie entlang der Fluchtrouten gestrandet sind und dort Folter, Entführungen, sexualisierter Gewalt und Hinrichtungen ausgesetzt sind.  

„Die Zahlen der Ankommenden sind unerwartet gering. Gleichzeitig häufen sich Berichte über großangelegte Gräueltaten. Wo sind all die vermissten Menschen, die bereits monatelang Hunger und Gewalt in al-Faschir überlebt haben?“, fragt Michel Olivier Lacharité, Leiter der Notfalleinsätze bei Ärzte ohne Grenzen. „Basierend auf den Angaben der Patient*innen ist die wahrscheinlichste, wenn auch erschreckende Antwort, dass sie getötet, gejagt oder festgehalten werden, wenn sie versuchen zu fliehen. Wir fordern dringend die RSF und verbündete, bewaffnete Gruppen auf, Zivilpersonen zu verschonen und ihnen eine Flucht an einen sicheren Ort zu ermöglichen. Wir rufen auch alle diplomatischen Akteure, einschließlich der Quad Initiative auf, bestehend aus den USA, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten, ihren Einfluss geltend zu machen, um das Blutvergießen zu stoppen“, fügt Lacharité hinzu.  

Zwischen dem 26. und 28. Oktober wurden Neuankommende aus al-Faschir, überwiegend Frauen, Kinder und ältere Menschen in katastrophalem Ernährungszustand, mit Lastwagen gebracht. Andere, darunter Menschen mit Schussverletzungen, waren zu Fuß unterwegs. Sie versteckten sich tagsüber und gingen nachts, um den Bewaffneten auf den Hauptstraßen zu entgehen.  

Unter den Neueintreffenden am 27. Oktober waren alle 70 Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt, wobei 57 Prozent von ihnen unter schwerer akuter Mangelernährung litten. Am folgenden Tag untersuchte das Team von Ärzte ohne Grenzen 120 Männer aus al-Faschir. 20 Prozent von ihnen litten an schwerer akuter Mangelernährung. Diese erschütternden Zahlen verdeutlichen das enorme Leid der Menschen in al-Faschir und den umliegenden Lagern. Die Region ist seit mehr als einem Jahr offiziell von einer Hungersnot betroffen und ist seitdem zunehmend vom Zugang zu Nahrungsmitteln und lebensrettenden Hilfsgütern abgeschnitten.

Mehrere Augenzeugen berichteten den Teams von Ärzte ohne Grenzen von einer Gruppe von 500 Zivilist*innen sowie Soldaten der Sudanese Armed Forces und der Joint Forces, die am 26. Oktober zu fliehen versuchten. Die meisten wurden von der RSF und ihren Verbündeten getötet oder gefangen genommen. Überlebende berichten, dass Menschen nach Geschlecht, Alter oder wahrgenommener ethnischer Zugehörigkeit getrennt wurden. Viele blieben in Gefangenschaft gegen Lösegeldforderungen zwischen 5 und 30 Millionen sudanesischen Pfund (7.000 bis 43.000 Euro). Ein Überlebender sagte, er habe 24 Millionen sudanesische Pfund (34.000 Euro) an seine Entführer gezahlt, um sein Leben zu retten und zu entkommen. Ein anderer berichtete von grausamen Szenen, bei denen Kämpfer mehrere Gefangene mit ihren Fahrzeugen zerquetschten.  

Zwischen dem 26. und 29. Oktober haben wir 396 Verletzte aufgenommen und mehr als 700 neue Patient*innen aus al-Faschir in einer speziell eingerichteten Notaufnahme des Krankenhauses behandelt. Die Hauptverletzungen der derzeit im Krankenhaus behandelten Menschen sind Schusswunden, Knochenbrüche und andere Verletzungen von Schlägen und Folter. Einige leiden an infizierten Wunden oder Komplikationen von Operationen, die bereits in al-Faschir unter verzweifelten Bedingungen durchgeführt wurden und bei denen praktisch kein Zugang zu medizinischen Materialien und Medikamenten bestand.

Dr. Livia Tampellini, stellvertretende Leiterin der Notfalleinsätze bei Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen hat einen Gesundheitsstützpunkt am Eingang von Tawila eingerichtet und die Versorgung mit Notfallmedizin, chirurgischer Versorgung und weiterer medizinischer Hilfe im Krankenhaus ausgebaut.  

„Angesichts des Zustands der Menschen, die entkommen und schwer gezeichnet in Tawila angekommen sind, ist klar, dass sie dringend medizinische Hilfe, Nahrung, psychosoziale Unterstützung, Unterkünfte, Wasser und humanitäre Hilfe im Allgemeinen benötigen“, sagt Tampellini. Es darf keine Zeit mehr verloren werden, um anderen Überlebenden zu helfen. Sie müssen in sicherere Gebiete gebracht werden und lebensrettende Hilfe erhalten.