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Griechenland

Griechenland: Ärzte ohne Grenzen kritisiert Bedingungen in neuen Zentren für Geflüchtete - „Alle Bewohner*innen leiden unter psychischen Problemen"

Ein Jahr nach der Errichtung von neuen Aufnahmezentren für Geflüchtete und Migrant*innen auf den griechischen Inseln warnt Ärzte ohne Grenzen vor schweren gesundheitlichen Folgen für die Bewohner*innen. Im Zentrum Zervou auf der Insel Samos, in dem Ärzte ohne Grenzen eine mobile Klinik betreibt, ist die medizinische Versorgung der Menschen unzureichend und die gefängnisähnlichen Bedingungen führen zu einer enormen psychischen Belastung. Neben Samos wurden auch auf den Inseln Kos und Leros diese von der EU mitfinanzierten 'geschlossene Zentren mit kontrolliertem Zugang’ errichtet, in denen Migrant*innen und Geflüchtete auf die Bearbeitung ihres Asylantrages warten sollen. Weitere Zentren sind für das kommende Jahr auf Lesbos und Chios geplant.  

Einen Arzt aufzusuchen, Insulin für die Behandlung von Diabetes zu bekommen, eine Rechtsberatung vor einer Asylanhörung zu erhalten: Das sind alles Herausforderungen für Geflüchtete und Migrant*innen, die in dem isolierten und stark gesicherten Zervou-Zentrum auf der griechischen Insel Samos festsitzen. 

Die meisten Bewohner*innen sind vor Konflikten oder Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen und viele waren auf ihrem Weg Gewalt ausgesetzt. In den Zentren werden die Menschen mit doppelten Stacheldrahtzäunen, Röntgenstrahlen und biometrischer Identifizierung empfangen. „Die Menschen im Zervou-Zentrum erzählen uns, dass sie Menschenhandel, sexuelle Übergriffe, Zwangsarbeit und Schläge überlebt haben“, sagt Nicholas Papachrysostomou, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. „Einige haben miterlebt, wie Familienangehörige bei früheren Zwangsrückführungen oder bei Schiffsunglücken ums Leben kamen. In diesen gefängnisähnlichen Zentren werden ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigt und sie erleiden Schäden an ihrer psychischen und physischen Gesundheit, die vermeidbar wären.“ 

Nur Menschen mit einem sogenannten Asylausweis können das Zervou-Zentrum verlassen, aber die Registrierung für einen Ausweis kann 25 Tage oder länger dauern. Alle Neuankommenden werden daher faktisch festgehalten.  

„Die Menschen haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung“, sagt Sonia Balleron, Projektkoordinatorin auf Samos. Kranke Bewohner*innen müssen mit administrativen Verzögerungen von bis zu mehreren Monaten rechnen, wenn sie Hilfe benötigen, die auf Samos nicht verfügbar ist. Bis vor kurzem wurden Neuankommende zudem in eine geschlossene Corona-Quarantänestation geschickt, in der es keine medizinische Versorgung gab.  

Bei Menschen, die schon zuvor traumatische Erfahrungen gemacht haben, verschlechtert sich der psychische Gesundheitszustand aufgrund der gefängnisähnlichen Bedingungen. Zwischen September 2021 und September 2022 wiesen 40 Prozent der von Ärzte ohne Grenzen betreuten Patient*innen auf Samos Symptome auf, die auf ein psychisches Trauma zurückzuführen waren. Die Nachfrage nach psychiatrischer Hilfe von Ärzte ohne Grenzen war konstant hoch. „Mittlerweile leiden alle Bewohner*innen unter psychischen Problemen“, sagt Elise Loyens, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. „Wir beobachten Körperschmerzen, Dissoziation, Depressionen und Schlafstörungen.“  

„Unsere Erfahrungen mit der Betreuung im Zervou-Zentrum unterstreichen die Gefahren geschlossener Zentren", sagt Nicholas Papachrysostomou. „Migrant*innen und Geflüchtete brauchen Zugang zu qualitativ hochwertiger, zeitnaher medizinischer Versorgung. Die Behörden sollten in menschenwürdige Aufnahmebedingungen und sichere Unterbringung investieren und Integrationsprogramme auflegen. Die Menschen brauchen ein sicheres, unterstützendes und humanes Umfeld, um sich registrieren zu lassen und ihren Asylantrag zu stellen, ohne das Risiko einer erneuten Traumatisierung. So ist es auch von der internationalen, der nationalen und der EU-Gesetzgebung vorgesehen.“ 

Aktuell verhandeln die Mitgliedstaaten der EU einmal mehr über die Verabschiedung neuer Abschottungsmaßnahmen. „Im Dezember wird der Rat für Justiz und Inneres über die sog. ‘Instrumentalisierungsverordnung’ abstimmen”, sagt Marie von Manteuffel, Expertin für Flucht und Migration bei Ärzte ohne Grenzen. Demnach soll es europäischen Staaten ermöglicht werden, unter unklaren Vorbedingungen, schutzsuchende Menschen über Wochen hinweg an den Grenzen festzusetzen und dabei die Mindeststandards für die Unterbringung und Versorgung unterbieten zu dürfen. Ausnahmen für Kinder, Schwangere oder kranke Menschen sind in der Verordnung nicht vorgehen. Wozu dies führen wird, sehen wir schon jetzt auf den griechischen Inseln.” 

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Unsere Pressereferetin Christiane Winje
Christiane Winje
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