Gaza: Viele Tote und Verletzte nach Schüssen im Umfeld der Hilfsgüterausgabe
Jerusalem/Berlin, 2. Juni 2025. Ärzte ohne Grenzen behandelt derzeit zahlreiche Patient*innen mit Schusswunden, die am 1. Juni ins Nasser-Krankenhaus in Chan Junis eingeliefert wurden. Es soll zudem Dutzende Tote gegeben haben. Die Menschen kamen unter Beschuss, als sie versuchten, an einer der neuen Ausgabestellen der Gaza Humanitarian Foundation in Rafah und nahe des Netzarim-Korridors Lebensmittel zu erhalten.
„Die Ereignisse zeigen einmal mehr, dass dieses neue System der Hilfe entmenschlichend, gefährlich und äußerst ineffektiv ist. Es hat zu zivilen Toten und Verletzten geführt, die vermeidbar gewesen wären. Humanitäre Hilfe darf nur von humanitären Hilfsorganisationen geleistet werden, die über die Kompetenz verfügen, sie sicher und effektiv zu erbringen“, erklärt Claire Manera, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen.
Teams von Ärzte ohne Grenzen im Nasser-Krankenhaus behandeln derzeit Patient*innen mit schweren Verletzungen. Einige sind weiterhin in kritischem Zustand und werden operiert. Da die Blutbanken nahezu leer sind, mussten medizinische Mitarbeitende selbst Blut spenden.
„Die Gänge in dem Krankenhaus waren voller Patient*innen. Anders als bei früheren Einsätzen, bei denen viele Frauen und Kinder betroffen waren, sind es heute überwiegend Männer. Sie lagen in den Gängen, weil die Zimmer bereits mit Verletzten überfüllt waren. Sie hatten Schusswunden an Armen und Beinen, ihre Kleidung war blutdurchtränkt“, berichtet Nour Alsaqa, Pressereferentin von Ärzte ohne Grenzen. „Es kamen immer neue Notfallpatient*innen zu uns, und mitten im Chaos erfuhren wir, dass der Bruder eines Kollegen beim Versuch, Hilfe am Verteilungszentrum zu bekommen, getötet wurde“, so Nour Alsaqa.
Mansour Sami Abdi, Vater von vier Kindern, schildert das Chaos: „Die Leute stritten sich um fünf Paletten. Man sagte uns, wir sollen Lebensmittel holen, und dann wurde aus allen Richtungen geschossen. Ich rannte 200 Meter, bevor ich merkte, dass ich angeschossen worden war. Das ist keine Hilfe, es ist eine Lüge. Sollen wir Essen für unsere Kinder holen und dafür sterben?“
Es ist bereits das zweite Mal, dass es zu Blutvergießen kam, seit das neue Verteilsystem eingeführt wurde. Bereits am 27. Mai 2025, dem ersten Nachmittag der Ausgabe völlig unzureichender Mengen lebenswichtiger Hilfsgüter in Rafah, fielen Schüsse der israelischen Streitkräfte auf Dutzende Menschen.
Aufgrund der vollständigen Blockade durch die israelischen Behörden seit dem 2. März 2025 ist mittlerweile laut den Vereinten Nationen die gesamte Bevölkerung in Gaza von Mangelernährung bedroht. Seit dem 19. Mai 2025 sind nur einige Hundert Lastwagen mit Lebensmitteln in den Gazastreifen gelassen worden – ein Bruchteil dessen, was nötig wäre. Die über zwei Millionen Menschen, die seit drei Monaten weitgehend von Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten abgeschnitten sind, sind verzweifelt.
Ärzte ohne Grenzen betont, dass diese Instrumentalisierung humanitärer Hilfe ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnte – wie auch die vielen Evakuierungsanordnungen und die Bombardierungen, die Zivilist*innen töten. Nur ein dauerhafter Waffenstillstand und die sofortige Öffnung der Grenzübergänge für humanitäre Hilfe, einschließlich Lebensmitteln, medizinischer Versorgung, Treibstoff und Ausrüstung, können diese menschengemachte Katastrophe lindern.
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