Direkt zum Inhalt

Meine Hassliebe zum Buchstaben "M"

Image
Porträt Julie Papango

Julie Papango

Ich bin klinische Laborwissenschaftlerin aus den Philippinen und habe Ärzte ohne Grenzen bisher beim Aufbau von Laboren unter anderem in Kambodscha, Uganda und Äthiopien unterstützt. Seit 2016 lebe ich in den USA.

Welch seltsame Choreographie man als trans*Mensch hinter sich bringen muss, um nationale Grenzen zu überqueren.

Ich habe eine Hassliebe zum Buchstaben "M". Warum ist das so? Erstens hat er viel Platz weggenommen, als ich als Kind schreiben lernte. Zweitens muss man in der amerikanischen Gebärdensprache die Faust ballen und dabei den Daumen zwischen Ring- und kleinem Finger halten. Fast so, als würde man ein Geheimnis bewahren oder gleich jemanden schlagen wollen. Andererseits ist es praktisch, wenn man das “M” als einen der letzten Buchstaben im englischen Scrabble auf der Hand hat: 13 mögliche Wörter allein mit einem weiteren Buchstaben. Da kann man leicht zusätzliche Punkte sammeln, um in einem knappen Spiel zu gewinnen. 

Mehr als nur ein Buchstabe 

Ich bin trans*Frau. Mir wurde bei meiner Geburt der Buchstabe “M” für “männlich” als Geschlechtsmerkmal zugewiesen. Ich habe einen philippinischen Pass. Die Philippinen sind ein mehrheitlich katholisches Land und eines von nur zwei Ländern auf der Welt, in denen Scheidungen verboten sind (das andere ist der Vatikan). Ich kann dort meinen Geschlechtseintrag in meinen Dokumenten nicht ändern, damit er auch meinem physischen Erscheinungsbild entspricht.  

Im Jahr 2009 war ich auf dem Weg nach Genf zu einem Vorbereitungstermin für meinen ersten Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen in Bischkek, Kirgisistan. Dort sollte ich Tuberkulose-Labore in einigen Gefängnissen unterstützen. Ich dachte, dass dies eine großartige erste Aufgabe sein müsse. 

"Mein erster Auslandsaufenthalt und Angst im Gepäck" 

Da war ich also vor meinem ersten Auslandsaufenthalt, bei einem Zwischenstopp am Flughafen von Hongkong - mit einem 9 Kilogramm schweren Koffer und einer Menge Angst im Gepäck. Plötzlich wurde ich in einen kleinen Raum geführt und von Beamt*innen der Hongkonger Einwanderungsbehörde befragt. 

“Für welche Organisation arbeiten Sie?”, “Wie viele Tage haben Sie vor, zu bleiben?”, “Wie viel Geld haben Sie auf Ihrem Bankkonto?” Und so weiter. Schließlich: “Warum steht in Ihrem Pass “männlich”, obwohl Sie eine Frau sind?”  

“Ärzte ohne Grenzen”, “Zwei”, ich fliege nach Genf, anschließend nach Bischkek”, “Ein paar Tausend Pesos”, antwortete ich und hielt inne. “Ich bin trans*Frau und kann mein Geschlecht im Pass nicht ändern”, sagte ich mit zittriger Stimme. Immer wieder wurden mir die gleichen Fragen gestellt. Mit einem Kloß im Hals und meinen persönlichen Dokumenten in der Hand saß ich 30 Minuten lang in diesem Raum fest. Da es Sonntag war, konnten die Behörden Ärzte ohne Grenzen nicht erreichen. Endlich ließen sie mich gehen und entschuldigten sich. Ich schwieg einfach und versuchte, Ruhe zu bewahren. Später fand ich heraus, dass ich so befragt wurde, weil anscheinend viele trans*Frauen versuchen, als Tourist*innen einzureisen, um als Sexarbeiter*innen nach Hongkong oder Macau gehen zu können.  

Mir wurde klar, dass es für mich überall Risiken geben würde an den Einreise-Kontrollen – allein wegen dieses Buchstabens “M” in meinem Pass."

Bürokratisches Ringen 

Im Jahr 2012 bewarb ich mich für ein weiteres Projekt in Äthiopien. Ich beantragte ein äthiopisches Visum im Konsulat in Juba im Südsudan und stellte aus Erfahrung sicher, dass ich so aussah wie auf meinem aktuellen Passbild. Das Verfahren lief reibungslos ab, und das Visum wurde meinem Pass gerade noch rechtzeitig beigefügt.  

Doch als die Sachbearbeiterin im Konsulat meinen Pass freigeben wollte, bemerkte sie, dass der Geschlechtseintrag, den ich auf dem Antragsformular eingekreist hatte, von einem Mitarbeiter geändert worden war. Obwohl ich eine Frau bin, hatte ich "männlich" eingekreist, da dies so in meinem Reisepass vermerkt ist. Die Beamt*innen waren verwirrt. Ich erklärte ihnen, dass ich eine trans*Frau bin und dass ich meine gesetzlichen Dokumente in meinem Heimatland nicht ändern kann. Die nächsten drei Tage ging es zwischen den Behörden und mir hin und her. Schließlich wurde mir mitgeteilt, dass sie das Visum nicht erteilen könnten. Die mit südsudanesischen Arbeitsbestimmungen erfahrene Personalkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen erklärte ihnen wortgewandt die Situation, jedoch ohne Erfolg. Sie zogen das Visum von meinem Pass ab. Dort wie auch damals in Hongkong, weinte ich nicht. Doch die Frustration trug ich jahrelang mit mir herum. 

Ablehnung nach wie vor groß 

Trans*Menschen müssen unzählige solcher Hürden überwinden, wenn sie zwischen Ländern reisen. Ich wurde schon ein paar Mal gefragt, ob ich mich wohlfühle, wenn ich mich als internationale Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen in Länder wie den Jemen, Irak oder Afghanistan begebe. Ich habe immer geantwortet, dass ich bereit bin, in unsere Projekte dort zu gehen. Die wichtigere Frage ist, ob diese Länder dazu bereit sind, jemanden, der trans* ist, willkommen zu heißen und dort arbeiten zu lassen. 

Ich glaube nicht, dass ich erleben werde, dass mein Herkunftsland Menschen erlaubt, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Dass das so ist, ist der Grund dafür, dass gut ausgebildete trans*Menschen aus den Philippinen nach Nordamerika und Europa in die Diaspora gehen. Auch für mich war das ein Auslöser, in die USA auszuwandern."

Ich bin mir dessen bewusst, dass ich damit ein gewisses Privileg genieße: Ich habe eine gute Ausbildung und Zugang zu medizinischer Versorgung, bei der ich mich authentisch fühlen kann. Sowohl beruflich als auch privat konnte ich Kontakte knüpfen. Den meisten queeren und geschlechtlich nicht konformen Menschen werden solche Möglichkeiten nicht geboten. Es gibt beispielsweise eine Fülle von Geschichten über queere Asylbewerber*innen, die körperlich und sexuell missbraucht werden. 

Grundrechte von trans*Menschen stärken 

Die Möglichkeit, sicher und eigenständig zu reisen, ist ebenso wichtig wie der Zugang zu einer medizinischen Betreuung, die darauf ausgerichtet ist, dass sich Menschen mit ihrer Genderidentität angenommen und entsprechend versorgt werden. In vielerlei Hinsicht ist nämlich eine Wissenschaftlerin in einem klinischen Labor so verletzlich wie eine transsexuelle Sexarbeiter*in in Asien oder queere Geflüchtete und Asylsuchende in Afrika und Lateinamerika.  

Schließlich können wir uns gegen Unterdrückungssysteme und Ungleichheit auch wehren, damit andere ihre eigenen Geschichten der Menschlichkeit erfinden können, wenn sie Grenzen überqueren müssen.

 

Christopher Street Day

In Solidarität mit unseren LGBTQIA+–Patient*innen
und –Kolleg*innen