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DR Kongo: Enormes Ausmaß sexualisierter Gewalt im Osten des Landes

Goma/Berlin, 17. Juni 2025. Die Zahl der von Ärzte ohne Grenzen behandelten Überlebenden sexualisierter Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Die Hilfsorganisation fordert die internationale Gemeinschaft auf, die Versorgung der Betroffenen trotz der aktuellen finanziellen Herausforderungen weiterhin zu priorisieren.  

Besonders betroffen ist die Provinz Nord-Kivu, in der Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2024 fast 40.000 Überlebende sexualisierter Gewalt medizinisch betreut hat. Auch seit Anfang dieses Jahres verzeichnen die von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Einrichtungen in Nord- und Süd-Kivu alarmierend hohe Behandlungszahlen. Diese steigen insbesondere seit der Wiederaufnahme der Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und der bewaffneten Gruppe M23/AFC und ihren jeweiligen Verbündeten.

Nach der Einnahme der Stadt Goma im Februar wurden Camps für Binnenvertriebene, in denen mehr als 650.000 Menschen lebten, von der Miliz M23/AFC aufgelöst. Zahlreiche vertriebene Frauen konnten oder wollten nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren und sind mit ihren Kindern auf sich allein gestellt. „Zu uns kommen zahlreiche Patientinnen, die in Gastfamilien oder in gemeinschaftlichen Unterkünften Opfer von Missbrauch wurden“, sagt François Calas, Programmleiter von Ärzte ohne Grenzen in Nord-Kivu. „Häufig werden sie zu sexuellen Handlungen im Tausch gegen Wohnmöglichkeiten gezwungen.“ Im Umland von Goma und Saké berichten viele Überlebende von Übergriffen auf Straßen oder auf Feldern. Wie schon in den Vorjahren wurde der Großteil der gemeldeten Übergriffe im Jahr 2025 unter Androhung von Waffengewalt verübt.  

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen versorgen täglich Dutzende Überlebende sexualisierter Gewalt in Gesundheitseinrichtungen in und um Goma. Zwischen Januar und April 2025 wurden dort fast 7.400 Betroffene betreut. In der etwa 20 Kilometer westlich gelegenen Ortschaft Saké wurden im selben Zeitraum mehr als 2.400 weitere Überlebende behandelt. Auch in Süd-Kivu ist die Lage besorgniserregend. In Kalehe und Uvira haben Teams von Ärzte ohne Grenzen seit Anfang 2025 rund 700 Überlebende sexualisierter Gewalt behandelt.  

Die Zahlen bilden die Realität nur unzureichend ab. Viele Überlebende haben keinen Zugang zu einer Versorgung, aus Angst vor Vergeltung, wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung, geografischer Abgeschiedenheit oder fehlender Kapazitäten in den Einrichtungen.

Luders Leriche, medizinischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Süd-Kivu 

Die hohe Zahl der Fälle in manchen Gegenden – im Vergleich zur geringen Zahl in anderen – spiegelt eher die ungleichen Versorgungsmöglichkeiten als das tatsächliche Ausmaß des Problems wider.

Nasha*, eine vertriebene Frau, die sich in einem Schulhof ein Notquartier eingerichtet hat, berichtet: „Gegen 22.30 Uhr drangen bewaffnete Männer in unser Haus ein. Einige Ehemänner wurden getötet, Frauen wurden vergewaltigt, auch ich. Drei Männer wollten mich vor meinem Mann und unseren acht Kindern vergewaltigen. Mein Mann wehrte sich, sie töteten ihn.“

Die Folgen sexualisierter Gewalt sind seit langem bekannt und dokumentiert. Neben den physischen und psychischen Schäden haben diese Taten schwerwiegende soziale Konsequenzen für Überlebende: familiäre Ausgrenzung, Scheidung, Stigmatisierung, Suizidgedanken und große Schwierigkeiten für Überlebende, an Orten weiterzuleben, an denen sie missbraucht wurden.

Besorgniserregend ist auch, dass der Zugang zu medizinischer Hilfe zunehmend erschwert wird. Mehrere Gesundheitseinrichtungen in Nord- und Süd-Kivu haben bereits keine Medikamente und andere medizinische Güter für Überlebende sexualisierter Gewalt mehr. 

Neben den unterbrochenen Versorgungs- und Lieferketten infolge des anhaltenden Konflikts sind es vor allem die weltweiten Kürzungen von Finanzmitteln für humanitäre Hilfe, die Anlass zu großer Sorge geben.Trotz aktueller Herausforderungen dürfen wir diese Frauen und Kinder nicht allein lassen.  

François Calas, Programmleiter von Ärzte ohne Grenzen in Nord-Kivu

Zudem fordert Ärzte ohne Grenzen alle Beteiligten auf, den Schutz der Zivilbevölkerung und ihren Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu gewährleisten.

In Nord-Kivu und Süd-Kivu bieten die Teams von Ärzte ohne Grenzen umfassende medizinische und psychologische Betreuung für Betroffene sexualisierter Gewalt an. Die Behandlung umfasst physische und psychologische Versorgung, präventive Therapien gegen sexuell übertragbare Krankheiten, Notfallverhütung, Impfungen und sichere Schwangerschaftsabbrüche. Schwere Fälle werden in spezialisierte Kliniken überwiesen.  

*Namen zum Schutz der Patientinnen geändert.