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Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist auch ein medizinischer Notfall. Wir bieten Überlebenden die dringend benötigte umfassende Gesundheitsversorgung.

Sexualisierte Gewalt erschüttert das Leben von Millionen von Menschen weltweit. Sie findet in unterschiedlichsten Kontexten statt. Die Überlebenden tragen seelische und physische Wunden davon, die sie oft ein Leben lang begleiten.  

Eine schnelle Notfallversorgung schützt Überlebende sexualisierter Gewalt vor Infektionskrankheiten und deren Folgen sowie vor ungewollten Schwangerschaften und ist auch für ihre psychische Gesundheit immens wichtig. Viel zu oft fehlt aber genau diese angemessene, niedrigschwellige und vertrauensvolle Versorgung. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Betroffene schnell und umfassend medizinisch und psychosozial betreut werden - unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. 

1 von 3 Frauen

erlebt in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt.

27 % aller Frauen

zwischen 15 und 49 Jahren erleben (sexualisierte) Gewalt durch ihren Partner.

62.235 Patient*innen

haben wir 2023 nach sexualisierter Gewalt weltweit behandelt.

Ein strukturelles Problem

Image
Streetart erinnert an Femizid
Streetart in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince: Die Wandmalerei wurde zu Ehren von Regina Nicolas gestaltet, die von ihrem Partner getötet wurde.
© Valerie Baeriswyl

Gewalt gegen Frauen, Mädchen und als weiblich wahrgenommene Menschen ist weltweit ein strukturelles Problem.  Wenngleich auch immer wieder Jungen, Männer und als männlich gelesene Menschen betroffen sind, leiden Frauen und Mädchen überdurchschnittlich häufig unter Formen sexualisierter Gewalt.[1]

In vielen Ländern wird sexualisierte Gewalt immer noch tabuisiert, obwohl sie weit verbreitet ist. Oft ist es den Überlebenden daher nicht möglich, über ihre Erlebnisse zu sprechen, aus Sorge, die Familie könne beschämt werden. In einigen lokalen Sprachen in der Zentralafrikanischen Republik gibt es beispielsweise nicht einmal ein Wort für „Vergewaltigung“.

Wichtige Fragen und Antworten

Was ist sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt?

Sexualisierte Gewalt umfasst viele Formen von Gewalt, darunter:  

  • Vergewaltigung 

  • sexueller Missbrauch  

  • sexuelle Ausbeutung  

  • Zwangssterilisation  

  • weibliche Genitalverstümmelung 

Überlebende dieser Gewalt sind zum Großteil Frauen, Kinder und Jugendliche. 

Unter geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen versteht man jegliche Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, weil sie Frauen sind, oder Frauen überproportional stark trifft. 

Auch Männer und Jungen sind von sexualisierter Gewalt betroffen. Aus Angst vor Stigmatisierung, Scham und aufgrund von Tabus, fällt es männlichen Überlebenden sexualisierter Gewalt häufig sehr schwerfallen, über ihre Erlebnisse zu berichten oder Übergriffe zu melden. 

Welche medizinischen Folgen können aus sexualisierter Gewalt resultieren?

Sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Frauen kann eine Vielzahl von Folgen für die körperliche und reproduktive Gesundheit haben. 

Körperliche Verletzungen können von Stichwunden, Knochenbrüchen und Blutungen bis hin zur Entstehung von Vaginalfisteln reichen. Im Fall von sexuellem Missbrauch besteht zudem ein hohes Risiko, dass sich sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV übertragen. Insbesondere bei Vergewaltigungen steigt das Risiko der Übertragung, da vaginale oder anale Risse einen Zugang für Krankheitserreger bieten. 

Eine weitere Folge kann eine ungewollte Schwangerschaft sein. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen gegen die sexualisierte Gewalt verübt wurde, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, doppelt so hoch wie bei jenen, die keine erlebt haben.

Welche Auswirkungen hat sexualisierter Gewalt auf die psychische Gesundheit?

Überlebende von sexualisierter Gewalt leiden oft unter schweren psychischen Folgen. Häufig fühlen sie sich schuldig und denken, der erlebte Vorfall hätte vermieden werden können. Das Erleben von sexualisierter Gewalt und der damit verbundene Kontroll- und Vertrauensverlust kann sich auch auf die Fähigkeit der Überlebenden auswirken, Beziehungen zu anderen aufzubauen. Diese Gefühle werden häufig von klinischen Folgen wie posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzuständen begleitet. 

In vielen Gesellschaften werden die Überlebenden sexualisierter Gewalt stigmatisiert. Das kann die psychische Gesundheit der Betroffenen zusätzlich beeinträchtigen. In einigen Kulturen werden Überlebende von Partner*innen, Familienmitgliedern oder Gemeinden ausgeschlossen. 

Wenn Sie selbst sexualisierte Gewalt erlebt haben, erleben oder vermuten, dass jemand in Ihrem Umfeld Gewalt erlebt, können sie beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ anrufen. Unter der Nummer 08000 116 016 erhalten Sie rund um die Uhr und in vielen verschiedenen Sprachen sicheren, anonymen und kostenlosen Rat. Auch ein Kontakt per Chat ist möglich. 

Warum ist es wichtig, dass Überlebende innerhalb von 72 Stunden Hilfe erhalten?

Eine medizinische Untersuchung und Behandlung innerhalb von 72 Stunden nach einem Übergriff ist enorm wichtig, da in diesem Zeitfenster bestimmte Medikamente die Übertragung von Infektionskrankheiten verhindern können. Mit Notfallverhütungsmitteln kann zudem in diesem ersten Zeitraum einer ungewollten Schwangerschaft vorgebeugt werden.

Warum ist Information über Versorgung nach sexualisierter Gewalt wichtig?

Möglichst niedrigschwellig zugängliche Informationen stellen sicher, dass die Bevölkerung über die verfügbaren Gesundheitsdienste informiert ist und die Menschen wissen, wie wichtig es ist, sich nach einem sexuellen Übergriff schnell behandeln zu lassen. Aufklärungskampagnen sind deshalb wesentlicher Teil unserer Projekte zur medizinischen Versorgung von Überlebenden sexualisierter Gewalt. 

Wir setzen uns dafür ein, das Bewusstsein für die Folgen sexualisierter Gewalt zu schärfen: Um über sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu informieren und die Überlebenden zu ermutigen, Hilfe zu suchen, führen wir unter anderem Tür-zu-Tür-Gespräche, organisieren Theateraufführungen, sprechen im Radio und schalten Plakatkampagnen. 

In einigen Gebieten, in denen die medizinische Versorgung nicht leicht zugänglich ist, haben wir Rettungsdienste eingerichtet, die Überlebende von sexualisierter Gewalt zu Kliniken transportieren, wo sie behandelt werden können. Eines dieser Projekte findet sich in Südafrika, sie Videobeitrag weiter unten. 

Sexualisierte Gewalt in Kriegen und Konflikten

Insbesondere in instabilen Umgebungen wie z.B. in Konfliktregionen und Kontexten, in denen viele Menschen vertrieben werden, erhöht sich das Risiko für Frauen, Mädchen und als weiblich gelesene Menschen, sexualisierte Gewalt und andere extreme Gewalt zu erfahren. 

Sexualisierte Gewalt wird in derartigen Kontexten immer wieder als Waffe eingesetzt: als Mittel der Folter, zur Demütigung oder Bestrafung und zur Verbreitung von Angst. Frauen, LGBTQIA+-Personen und Kinder auf der Flucht sind, vor allem wenn sie allein reisen, besonders dem Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt und oftmals schutzlos ausgeliefert. 

Darüber hinaus steigt während bewaffneter Konflikte die Zahl sexualisierter Übergriffe und Gewalt an Frauen in den betroffenen Gesellschaften im Allgemeinen an. 

Ein Beispiel dafür ist die Situation in der konfliktreichen Demokratischen Republik Kongo: Im Jahr 2023 haben unsere Teams dort rund 28.970 Überlebende von sexualisierter Gewalt behandelt. Wir haben die Situation in einem Report dargelegt, in dem wir 17 unserer Projekte untersucht haben: Unter den mehr als 25.000 von uns dort versorgten Patient*innen waren fast nur Frauen. Jede Zehnte von ihnen war minderjährig. 2024 hat sich die Lage nochmals verschärft. Das enorme Ausmaß der sexualisierten Gewalt im Land wird zwar von vielen Akteuren anerkannt, aber es fehlt an Gegenmaßnahmen wie Prävention, Strafverfolgung sowie Schutz und Versorgung der Betroffenen. 

Als wir auf den Feldern arbeiteten, wurden wir vergewaltigt. In der Klinik erhielt ich Medikamente und wurde untersucht. Mein Geheimnis blieb zwischen mir, dem Arzt und dem Psychologen. Ich schäme mich zu sehr, um darüber zu sprechen.
-Eine Frau aus dem Bulengo-Camp am Rande von Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu 

Südafrika, 2019  
Demokratische Republik Kongo, 2022 

 

Sexualisierte Gewalt gegen Sexarbeiter*innen 

In Ländern wie beispielsweise Malawi und Mosambik, in denen viele Menschen keine Arbeit und kein Einkommen haben, wenden sich Frauen verstärkt der Sexarbeit zu. Sexarbeiter*innen sind neben enormer Stigmatisierung und einem hohen HIV-Infektionsrisiko, auch immer wieder sexualisierter Gewalt ausgesetzt.  

Viele der Betroffenen, die sexualisierte Gewalt während ihrer Arbeit erfahren, scheuen den Besuch von Gesundheitszentren aus Angst vor Diskriminierung. Für diese Berufsgruppe ist daher neben der Vermittlung von Wissen und Präventionsmethoden eine vertrauensvolle medizinische Betreuung besonders wichtig. 

Unsere Hilfe für Überlebende weltweit

Wir bemühen uns sicherzustellen, dass wir in all unseren Projekten Überlebende von sexualisierter Gewalt versorgen können, da sexualisierte Gewalt überall und jederzeit verübt werden kann. 

An einigen Orten mit einem hohen Maß an sexualisierter Gewalt stellen wir spezielle Dienste für Überlebende rund um die Uhr zur Verfügung. In allen Fällen bemühen wir uns, eine umfassende Versorgung mit einem Überlebenden zentrierten Ansatz anzubieten:  

Unsere Hilfe umfasst: 

Psychologische Betreuung:  

  • Erstberatung, um den Patient*innen zu helfen, den Schock zu verarbeiten. 
  • Beratungen und Nachsorge, um posttraumatischen Stress zu verhindern oder zu bewältigen. 
  • Beratung von Überlebenden, die durch sexualisierte Gewalt ungewollt schwanger geworden sind. 

Präventive Maßnahmen: 

  • Postexpositionsprophylaxe (PEP) mit Medikamenten, die sexuell übertragbare Infektionen wie HIV, Syphilis und Gonorrhö verhindern. Um wirksam zu sein, sollten diese Medikamente innerhalb von 72 Stunden nach dem Übergriff eingenommen werden.  
  • Impfungen gegen Hepatitis B und Tetanus. 
  • Notfallverhütungsmittel, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern.

Medizinische Behandlung: 

  • Versorgung von Körperverletzungen, einschließlich chirurgischer Eingriffe, sofern nötig. 
  • Schwangerschaftstests bei Nachuntersuchungen. 
  • Sichere Schwangerschaftsabbrüche und medizinische Nachsorge nach unsachgemäßen Abbrüchen. 
  • Ärztliche Bescheinigungen für rechtliche Zwecke. 

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[1] Wir möchten darauf hinweisen, dass selbstverständlich alle von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen Zugang zu medizinischer und humanitärer Versorgung brauchen. Neben dem Geschlecht und der Geschlechtsidentität, also beispielsweise auch der Zugehörigkeit zu LGBTQIA+, gibt es weitere Merkmale, die Menschen besonders vulnerabel machen können: Sexarbeiter*innen, Geflüchtete oder Menschen mit Behinderung gehören etwa zu Gruppen, die sexualisierter Gewalt besonders ausgesetzt sein können.