Seit 2014 sind mindestens 24.500 Flüchtende bei ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, gestorben. Doch die EU-Regierungen nehmen ihre völkerrechtliche Verantwortung nicht wahr und legen ihren Fokus auf den Schutz der Grenzen. Rettungen von in Seenot geratenen Menschen werden fast ausschließlich von privaten Hilfsorganisationen geleistet. Ärzte ohne Grenzen ist seit 2015 auf dem Mittelmeer aktiv, denn medizinische Hilfe wird hier dringend gebraucht.

Unser aktueller Seenotrettungseinsatz
Seit Mai 2021 setzen wir unsere Hilfe auf dem Mittelmeer fort – mit einem eigenen gecharterten Schiff: der Geo Barents.
Ziel des Einsatzes ist es, die Leben von Geflüchteten und Migrant*innen zu retten, die sich auf die gefährliche Überfahrt von Libyen nach Europa machen, und diese medizinisch zu versorgen.
Medizinische Versorgung von Schiffsbrüchigen
Menschen, die sich in Seenot befinden, müssen gerettet werden. Nach diesem Grundsatz retten und versorgen wir Flüchtende, die sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer begeben. Unser Fokus liegt auf der medizinischen Versorgung der geretteten Menschen. Viele leiden unter Verletzungen von ihrer Gefangenschaft in Libyen. Andere haben Verätzungen von dem gefährlichen Misch aus Salzwasser und Benzin, das sich in den seeuntauglichen Booten sammelt, oder leiden an Unterkühlung.
EU nimmt Verantwortung nicht wahr
Trotz klarer Regelungen im internationalen Seerecht und Völkerrecht werden private Hilfsorganisationen bei ihren Seenotrettungseinsätzen behindert und die lebensrettende Arbeit kriminalisiert: Europäische Staaten wie Italien und Malta sperren z.B. immer wieder ihre Häfen für private Rettungsschiffe, Gerettete können dann mitunter wochenlang nirgends sicher an Land gehen. Zudem werden regelmäßig Rettungsschiffe von europäischen Behörden blockiert oder beschlagnahmt und die Betreiberorganisationen mit willkürlichen strafrechtlichen Maßnahmen belegt. Zuletzt wurde die Sea-Watch 4, die wir gemeinsam mit dem Bündnis United4Rescue und der Organisation Sea-Watch betreiben, u.a. mit dem Hinweis auf zu viele Rettungswesten an Bord am Auslaufen gehindert.
Diese Politik führt dazu, dass kaum noch oder zeitweise gar keine Rettungsschiffe mehr auf See sind. Die EU hat darüber hinaus die Koordinierung von Rettungsaktionen in internationalen Gewässern, in denen die meisten Schiffbrüche stattfinden, auf die libysche Küstenwache übertragen. Für flüchtende Menschen hat das katastrophale Folgen, denn die Küstenwache zwingt die Menschen zurück in ein Bürgerkriegsland, indem sie die Internierung in menschenunwürdigen Lagern erwartet.
Häufige Fragen
Wie viele Menschen wurden von Ärzte ohne Grenzen bisher gerettet?
Ärzte ohne Grenzen ist seit 2015 auf verschiedenen Rettungsschiffen für die medizinische Versorgung verantwortlich. Dabei halfen unsere Teams bisher mehr als 85.000 Menschen in Seenot.
Was geschieht mit den Menschen, nachdem sie aus Seenot gerettet wurden?
Eine Rettung ist nach internationalem Recht erst abgeschlossen, wenn die geretteten Menschen an einem sicheren Ort an Land gehen können. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), die EU-Kommission und die Internationale Organisation für Migration (IOM) legen dies so aus, dass es sich dabei um den nächsten sicheren Hafen handelt. Als humanitäre Organisation steht für uns das Wohlergehen der schutzbedürftigen geretteten Menschen im Vordergrund. Deshalb versucht Ärzte ohne Grenzen, die geretteten Menschen so schnell wie möglich im nächstgelegenen sicheren Hafen an Land zu bringen.
Was sind die häufigsten medizinischen Probleme der Geretteten an Bord?
Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen haben an Bord von Rettungsschiffen im Mittelmeer bislang vor allem Gesundheitsprobleme behandelt, die mit der Überfahrt in den überfüllten Booten zusammenhängen: Unterkühlung, Verätzungen, gebrochene Gliedmaßen bis hin zur Behandlung von Patient*innen, die beinahe ertrunken wären. Darüber hinaus sehen unsere Teams häufig die Folgen schlechter Hygienebedingungen, denen Menschen auf der Flucht oder in Internierungslagern in Libyen ausgesetzt sind. Oft sehen sie Verletzungen durch Gewalt, etwa Schuss- oder Stichverletzungen, schlecht verheilte Knochenbrüche oder infizierte Wunden. In manchen Fällen müssen chronische Erkrankungen oder Komplikationen, die mit Diabetes oder Mangelernährung zusammenhängen, behandelt werden. Unter den Geretteten befinden sich viele Schwangere und kleine Kinder, deshalb ist eine Hebamme Teil des Teams.
Ermutigen Such- und Rettungsaktionen die Menschen nicht zur Flucht?
Es sind nicht die Rettungsschiffe, die Menschen als angeblicher „Pull-Faktor“ zur Flucht über das Meer treiben. Es sind vielmehr die „Push-Faktoren“ wie Konflikte, extreme Armut und Ungleichheit, die Millionen Menschen dazu bringen, anderswo Schutz zu suchen. Über das Mittelmeer fliehen die Menschen seit mehr als einem Jahrzehnt. Inzwischen sind es der militärische Konflikt sowie Gewalt und willkürliche Inhaftierung, mit denen Migrant*innen, Geflüchtete und Asylsuchende in Libyen konfrontiert werden, die sie die gefährliche Mittelmeerüberquerung wagen lassen. Viele der Menschen, die wir in den vergangenen Jahren gerettet haben, waren sich in einer Sache einig: Lieber gingen sie die Lebensgefahr auf dem Meer ein, als in Libyen zu bleiben.
Egal, ob Rettungsschiffe im Einsatz sind oder nicht - die Menschen riskieren ihr Leben bei dem Versuch das zentrale Mittelmeer in unsicheren Schlauch- oder Holzbooten zu überqueren.
Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass es keinen entscheidenden „Pull-Faktor“ durch Rettungsschiffe im Zentralen Mittelmeer gibt:
- Oxford University et al. (Elias Steinhilper/Rob Gruiters): Border Deaths in the Mediterranean
- Doctors without Borders Operational Research Unit LuxOr: Humanitarian NGOs conducting Search and Rescue Operations at Sea: A “pull factor”?
- Peace Research Institute Oslo: "Preventing the Work of Rescue Vessels in the Mediterranean Will Not Save More Migrants"