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Tongolo heißt Hoffnung

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Gisela Silva Gonzales

Ich bin klinische Psychologin und arbeite vor allem mit Menschen, die von Menschenhandel, Zwangsmigration, Naturkatastrophen, psychischer Gesundheit in Gefängnissen und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind.

Heute kam ein Mann mittleren Alters nach Tongolo, unserer Stelle für Überlebende sexualisierter Gewalt. Mehrere bewaffnete Männer hatten ihn überfallen. 

"Ich wollte Brot für meine Kinder holen, und dann hielt mir ein Mann seine Maschinenpistole entgegen. Er sagte er würde mich töten, wenn ich nicht mitmache... aber ich war schon tot. " 

Die immer gleiche Frage: Warum?

Ich arbeite seit neun Jahren auf dem Gebiet der sexualisierten Gewalt. Ich habe von vielen Schicksalen gehört und jedes Mal stelle ich mir die gleiche Frage: "Warum?". 

Selbst für uns Fachleute, die sich mit diesem Thema beschäftigen, ist es unverständlich, wie ein Mensch einen anderen Menschen so verletzen kann.  

"Dein Herz ist verletzt"

Der Mann kam zu uns, weil ihm jemand vom Tongolo-Projekt erzählte. 

- "Als er sagte, dass ich hierherkommen und Hilfe bekommen könnte, dachte ich mir: Tongolo ist meine Hoffnung und ich kam." 

- Sie sind tapfer hierher zu kommen und zu reden, auch wenn es nicht leicht ist, auch wenn Sie verletzt sind, haben Sie die Kraft gefunden, hierher zu kommen, um Hilfe zu suchen, zu sprechen und Ihr Leid zu lindern. 

- "Mein Herz ist nicht mehr dasselbe. Es schlägt sehr hart in einem seltsamen Rhythmus, es macht 'pom, pom, pom'."

Es ist nicht mehr mein Herz, dieses Herz gehört der Angst, der Angst vor dem Sterben.

- Ihr Herz ist verletzt. Es erinnert Sie daran, dass es ungeheures Leid erlitten hat, ein unerwartetes, traumatisches Ereignis, ein Ereignis, das nicht einmal ich Ihnen erklären kann. Dieses Herz erinnert Sie daran, es zu behüten, denn es lebt noch und auch Sie leben noch und Sie sind bei uns. 

Nicht eingeplant im Leben

Traumatische Ereignisse hinterlassen sehr tiefe Wunden. 

Deshalb zeigen wir der Person zuerst, dass sie nicht allein ist, hören zu ohne zu urteilen. Wir machen ihr klar, dass wir da sind und dass das, was passiert ist, nicht ihre Schuld ist. 

So etwas Schreckliches sieht man nie kommen. So etwas haben wir in unserem Leben nicht eingeplant.

Deshalb haben wir das Tongolo-Projekt gestartet, weil wir wissen, dass Einsamkeit nach einem Missbrauch noch viel schlimmer sein kann. 

Agent*innen der Resilienz

Wir wollen einen sicheren Raum schaffen, in dem Menschen frei reden können, ihre Wut, ihre Traurigkeit, ihren Zorn, ihre Angst, ihre Freude, ihre Sorgen und ihr Leid in einer freundlichen Umgebung ausdrücken können. 

Der erste Kontakt nach einem traumatischen Ereignis ist entscheidend. Er legt fest, wie die Person in den folgenden Tagen auf ihr Schicksal blicken wird. Die Geschichte, die die Person sich selbst erzählt, wird sie in diesem Ereignis gefangen halten oder aus ihrem Trauma-Gefängnis befreien. 

Deshalb nennen wir die Fachkräfte, die diesen Menschen zum ersten Mal zuhören, "Agent*innen der Resilienz". 

Wir sind Fachleute für mentale Gesundheit, die den Menschen Hoffnung geben. Wir retten Leben und wir unterstützen unsere Patient*innen dabei, Auswege zu finden. 

Es braucht Zeit

- "Danke für Ihre Worte. Hier habe ich Hilfe bekommen, mir wurde erklärt, was Sie mit mir machen werden. Ich werde wiederkommen, vielen Dank. Danke, dass Sie mir zugehört haben, es ist die Traurigkeit, die in mir ist, in meinem Herzen, mein schweres Herz. Ich wollte Brot holen und habe das erlitten." 

Der Patient sagte mir, dass er Gemüse anbaut. Aber das braucht Zeit. Zeit, Wasser, Mühe und jeden Tag Achtsamkeit.

- “Sehen Sie Ihre Pflanzen wie sich selbst: Es braucht Zeit und Geduld, sie zu pflegen und eines Tages werden Sie sehen, dass sie bereit und reif sind, genau wie Sie. Eines Tages werden Sie sehen, dass alles besser sein wird. Sie haben viel Kraft in sich. Sie kommen her, Sie suchen weiter nach einem Weg Brot holen zu gehen, Dankbarkeit, Liebe für Ihre Kinder, Hingabe, Geduld. Das sind Gefühle, die Ihnen helfen, die Ihnen zeigen, dass Sie noch leben.” 

Lebenskraft

Die Patient*innen kommen, um Hilfe zu erhalten, weil sie noch den Antrieb haben, die Situation überwinden zu wollen. Mit dieser Kraft müssen wir arbeiten. Der Wille und die Fähigkeit sind schon da - wir müssen sie nur begleiten, damit sie aufblühen. 

Wir müssen der Person zeigen, dass wir das gemeinsam bewältigen, auch wenn der Schmerz da ist.

Wir sind für den Menschen da und helfen, ins Leben zurückzufinden. 

Zum Schluss möchte ich diesem Mann sagen, in meinem Namen und vielleicht auch im Namen der anderen Fachleute, die Überlebende wie ihn begleiten: 

- “Danke, dass Sie gekommen sind und mir die Hoffnung geben, dass Sie noch die Kraft und den Mut zum Leben haben... Danke, dass Sie mir zeigen, dass sich unsere Arbeit lohnt.”