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Mexiko: Hinter den unsichtbaren Grenzen

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Portrait: Stephania Garcia

Stephania Garcia

Ich komme aus dem nördlichen Bundesstaat Michoacán und bin seit Juli 2021 Teil des Teams von Ärzte ohne Grenzen in Mexiko.
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Zwei Männer zeigen auf eine Karte, die Mexio abbildet
Viele Gemeinden in der Region Michoacán stehen leer. Die verbliebende Bevölkerung vermeidet es auf die Straße zu gehen, aus Angst, von Kugeln oder Sprengstoffdrohnen getroffen zu werden. 
© Yesika Ocampo/MSF

In meinem Heimatstaat Michoacán besuchen wir mit unseren mobilen Kliniken wöchentlich die Gemeinden. In diesem Gebiet kostet die Gewalt zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen viele Menschenleben und führt zu Vertreibungen und Gefangenschaften. All das hat verheerende Folgen für die physische und psychische Gesundheit von Hunderten von Frauen, Männern und Kindern. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist durch die vorherrschende Gewalt auch fast vollständig unterbrochen.   

Wir haben unsere Gesundheitsversorgung diesen schwierigen Bedingungen angepasst: Meine Kolleg*innen und ich bieten medizinische Versorgung, psychologische Betreuung und Gesundheitsberatung in den mobilen Kliniken an.   

Eine andere Welt  

Vor dieser Aufgabe konzentrierte sich meine Arbeit auf die Pandemieversorgung und -prävention. Als ich in das neue Team kam, war ich überrascht, dass die Covid-19-Pandemie in diesen Gemeinden keine große Rolle zu spielen scheint. Unsichtbare Grenzen machen das Ein- und Ausreisen in diese Region fast unmöglich und schneiden sie somit von der Außenwelt ab. 

Wenn man diese unsichtbaren Grenzen überschreitet, ist es, als würde sich die Welt verändern.

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Die Kämpfe der kriminellen Gruppen zerstören Häuser, Bushaltestellen und Autos
Einige Gemeinden in Michoacán zeigen die schweren Auswirkungen des Krieges: Häuser und Bushaltestellen zeugen von den ständigen Schießereien zwischen den verschiedenen bewaffneten Akteuren.
© MSF/Lali Cambra

Mit der Zeit wunderte ich mich nicht mehr darüber, dass die Menschen keine Gesichtsmasken tragen. Stattdessen fing ich an, meine Aufmerksamkeit auf andere stumme Zeugen zu richten: die Einschusslöcher in den Häusern. Die wenigen Menschen, die noch an diesen Orten leben, richten währenddessen ihre neugierigen Blicke auf mich und mein Team.  

Als Krankenpflegerin bin ich die erste im Team, die mit den Patient*innen in Kontakt kommt und mit ihnen über ihre Beschwerden spricht. Einige von ihnen fangen an zu weinen, wenn sie mir erzählen, wie es ihnen geht – und ich höre zu. Ein paar Patient*innen sind mir besonders in Erinnerung geblieben.   

Gespräche im Wartezimmer

Der falsche Name

"Organisierte Kriminelle haben mein Haus niedergebrannt, weil mein Nachname dem Namen eines Anführers einer rivalisierenden Gruppe ähnlich ist."

Eine 14-jährige Patientin

"Ich musste meine Schwester von der Schule abholen, weil eine Schießerei bevorstand. Mit fünf weiteren Familienmitgliedern verbrachten wir dann 24 Stunden am einzigen Ort mit Betonwänden: in unserem Badezimmer."

Aus einer mobilen Klinik

"Ich brauche bitte eine neue Spritze, um Insulin zu injizieren. Ich nutze seit einem Monat dieselbe, da ich die Gemeinde nicht verlassen kann, um eine neue zu kaufen. Es ist zu gefährlich."

Die Geschichten der Patient*innen zeigen, unter welchen gewaltvollen Bedingungen die Menschen hier leben müssen und wie begrenzt die medizinischen Versorgungmöglichkeiten sind. Die Kämpfe zwischen den bewaffneten Gruppen haben bis heute nicht aufgehört und in einigen Gebieten hat sich die Situation sogar verschärft. Mein Team und ich sind dennoch weiterhin im Einsatz und leisten medizinische Grundversorgung mit unseren mobilen Kliniken.