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Eine Geschichte aus Mossul: Krank, allein und dann wieder mit der Familie zusammengeführt

Karims* Geschichte ist nur eine von sehr vielen, die sich nach dem Ende der Kämpfe um Mossul abspielen. Niemand weiß, wie viele Menschen von ihren Familien getrennt und in der zerstörten Stadt sich selbst überlassen sind. Karim wurde allein und schwer krank gefunden und in eines unserer Krankenhäuser eingeliefert. Unser Arzt Henryk Bonte hat den jungen Mann behandelt und sein Team konnte ihm glücklicherweise zum Wiedersehen mit seiner Familie verhelfen. Henryk erzählt Karims Geschichte:

„Ich werde den Tag im August, als Karims Mutter und Cousin in unser Krankenhaus kamen, nie vergessen. Mit ihrer unglaublichen Freude steckten sie uns alle an. Aber der Weg dorthin war lang.

Sechs Wochen zuvor wurde Karim in West-Mossul gefunden. Er war ganz allein und litt an Krampfanfällen. Er wurde ins Krankenhaus Hamam al-Alil eingeliefert, eines der Krankenhäuser von Ärzte ohne Grenzen im Süden von Mossul.

Als er ankam, war sein Zustand kritisch. Er konnte weder laufen noch sprechen und war zu schwach, um selbstständig Nahrung aufzunehmen. Aufgrund seiner unkontrollierten Krampfanfälle entwickelte er eine schwere Lungenentzündung und war komplett auf die Hilfe unserer irakischen Mitarbeiter angewiesen. Obwohl sie völlig überlastet waren, fanden sie immer noch ein wenig Zeit für Karim. Sie verabreichten ihm Nahrung, pflegten ihn, und zeigten dabei unglaubliches Mitgefühl und Herzlichkeit.

Eine der Pflegerinnen begann für ihn zu tanzen

Ich erinnere mich, dass Karim eines Tages einen schlimmen Anfall hatte. Eine der Pflegerinnen fing an, für ihn zu singen und zu tanzen. Sofort beruhigte er sich, lächelte ihr zu und begann, mitzutanzen.

Langsam erholte er sich. Seine Lungenentzündung war auskuriert und seine Krampfanfälle ließen nach. Eine Woche später konnte er aufrecht im Bett sitzen und selbstständig essen.

Zu dem Zeitpunkt war der Kampf um Mossul zu Ende. Die Zahl der Patienten mit schweren Verletzungen sank, sodass Ärzte ohne Grenzen beschloss, die Aktivitäten in Hamman al-Alil einzustellen. Die verbleibenden Patienten wurden ins östlich gelegene Krankenhaus al-Hamdanija verlegt. So auch Karim. Seit seiner Einlieferung hatten wir seine Familie gesucht. Doch wir hatten viel zu wenig Informationen über ihn, sodass es unmöglich schien, sie zu finden.

Bis auf seinen Vornamen wussten wir nichts

Bis auf seinen Vornamen wussten wir nichts – nicht einmal sein Alter. Wir schätzten ihn auf etwa 18 Jahre. Wir fragten ihn immer wieder, doch er konnte uns nicht sagen, wie seine Familie hieß oder wo sie wohnte. Wir kontaktierten andere Organisationen, die auf den Schutz und die Zusammenführung von Familien ausgerichtet sind. Doch niemand schien uns helfen zu können.

Nach drei Wochen bei uns war Karim vollständig genesen und wir wussten nicht, was wir noch tun könnten. Eines Tages jedoch erkannte ihn einer der Patienten. Er gab uns genug Informationen, um Karims Familie zu kontaktieren.

Der Tag, an dem Karims Mutter und Cousin ankamen, brachte viele Antworten und lauter Überraschungen. Sie hatten seit mehr als sieben Wochen nach Karim gesucht. Wir fanden heraus, dass er 22 Jahre alt und als Baby an einer Hirnhautentzündung erkrankt war. Es stellte sich heraus, dass die Behandlung gegen Epilepsie, die er von uns bekam, genau jene Behandlung war, die ihm schon zu Hause verschrieben worden war.

Das Wiedersehen war alles, was wir uns gewünscht hatten

Der Moment, als sich Mutter und Sohn wiedersahen und in den Armen lagen, war alles, was wir uns für Karim gewünscht hatten. Dieser Moment und der Weg, den wir bis dahin zusammen bestritten haben, werden mich noch lange Zeit begleiten.

Doch viele Menschen im Irak warten weiter und hoffen, dass auch sie eines Tages wieder mit ihrer Familie vereint sein werden. Niemand weiß, wie viele Menschen verletzt, alleine und verloren auf sich gestellt zurückbleiben.”

 

*Der Name wurde zum Schutz der Privatsphäre geändert.