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Griechenland: „Ich möchte eine Stimme für die Trans-Community aus meinem Land sein"

Yuli* aus Kuba suchte Asyl in Griechenland. Die Reise dorthin war wir für sie als Schwarze trans*Frau sehr schwierig und gefährlich. Heute gehört sie zu den Frauen, die wir in Athen unterstützen. Yuli berichtet von ihrem schweren Leben in Kuba, davon, weshalb sie floh und wie es ihr in der Trans-Community in Griechenland geht. Sie erzählt auch, wie sie bei uns für ihre Community medizinische Unterstützung fand, die sie als diskriminierungsfrei erlebt - vor Ort kein einfaches Unterfangen. 

Yulis Reise begann in Russland - einem der wenigen Länder, in das Kubaner*innen ohne Visum einreisen können. Von dort aus ging es für sie weiter: Sie erinnert sich mit Schrecken an endlose Fußmärsche, all die Busfahrten und die Zurückweisungen durch Grenzbeamt*innen. Sie erlebte Schikanen und Aggressionen und musste Tage und Nächte in einem Männergefängnis durchleben, bevor sie endlich in Sicherheit war.

 

Eine Zukunft in Kuba - unvorstellbar!

„Wie alle geflüchteten trans*Frauen hier in Griechenland habe auch ich beschlossen, meine Heimat wegen des Systems zu verlassen“, sagt Yuli. „Die Familien, die Gesellschaft und die politische Kultur in Kuba haben kein Verständnis für trans* Menschen. Du bist escoria [Abschaum], wenn du dich als Frau fühlst oder identifizierst. Sie denken, dass du verrückt bist. Sie geben dir keine Möglichkeiten zu arbeiten, Gesundheitsversorgung oder sonstige Hilfe zu erhalten. Das System ist nicht daran interessiert, LGBTIQ+-Menschen zu schützen.

Ich habe die atravesia [Überfahrt] gemacht, um Freiheit zu finden. Wenn man die Entscheidung trifft, sein Land zu verlassen, dann deshalb, weil man dort nicht mehr leben kann. Ich wäre lieber auf dem Weg gestorben, als weiter in Kuba zu leben.“

 

Eintreten für die Community 

„Ich möchte eine Stimme für die Trans-Community aus meinem Land sein. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen soziale und medizinische Unterstützung erhalten, denn die meisten transsexuellen Menschen, die hierher kommen, haben keine Medikamente. Viele haben sexuell übertragbare Krankheiten. Aber es ist sehr schwierig, medizinische Unterstützung zu finden.

Du kommst in ein Land fern deiner Kultur, in dem nicht deine Sprache gesprochen wird, und musst deinen Körper im Krankenhaus zeigen. Sie verstehen dich dabei aber nicht genau, sie wissen nichts über dich. Ich weiß, dass das griechische Gesundheitssystem sehr gut ist. Aber das Problem ist die Geschlechtsidentität. Wir sind trans und meistens sind wir Schwarz.

Eine Freundin, die den Status einer Asylbewerberin in Griechenland und entsprechende Dokumente hat, um Unterstützung im Krankenhaus zu erhalten, brauchte eine medizinische Konsultation. Sie hatte Schuppenflechte am ganzen Körper, und der Arzt kam und stellte ihr einige unangemessene Fragen. Ich war bei ihr, um zu übersetzen, um zu helfen. Wir sprechen nicht perfekt Griechisch, aber wir können uns mit Händen und Füßen verständigen. Es war ein schlimmer Moment für uns beide, nicht nur für sie, die krank war. Wir beschlossen, ein anderes Krankenhaus aufzusuchen, das diesem ‚Problem‘, dass wir Schwarz und trans sind, aufgeschlossener gegenübersteht."

 

 

“Du weiß nicht, was Angstzustände sind, was Depressionen sind, was eine Panikattacke ist”

„Du musst mit den Menschen in Kontakt kommen, die dir wirklich helfen können. So wie bei Ärzte ohne Grenzen, wo man zu einer Untersuchung gehen kann. Sie kümmern sich um dich, um den Termin für den Arztbesuch, um das Kondom, um die PrEP [HIV-Präexpositionsprophylaxe].

Alle Transsexuellen aus meiner Community sind sehr, sehr froh [über Ärzte ohne Grenzen], denn zunächst einmal haben sie Übersetzer*innen für Spanisch. Diese Dolmetscher*innen können alles erklären und übersetzen, was man über Krankheiten wissen muss. Außerdem kommt man bei Ärzte ohne Grenzen zu Ärzt*innen, für die es keine Rolle spielt, ob man [rechtlich] anerkannt ist, ob man ein*e Asylbewerber*in ist, ob man aus Kuba kommt oder aus dem Kongo.

Sie erklären dir, was du hast und wie sie vorgehen. Sie haben sehr viel Geduld. Sie finden Termine in den verschiedenen Krankenhäusern bei Spezialist*innen für dich.

Bei Ärzte ohne Grenzen erfahre ich auch von Dingen, die mir bisher unbekannt waren. Zum Beispiel leiden die meisten Transsexuellen, so wie ich auch, unter Schwindelgefühlen. Du weiß nicht, was Angstzustände sind, was Depressionen sind, was eine Panikattacke  ist. Aber wenn man [zu Ärzte ohne Grenzen] kommt, kann man mit Psycholog*innen und Psychiater*innen sprechen oder eine Therapie machen.“

 

“Wir brauchen Menschen, die verstehen, was in deinem Kopf passiert”

„Die meisten transsexuellen Menschen brauchen einen starken Charakter, denn wenn die Gesellschaft einen nicht versteht, wenn die Familie einen nicht akzeptiert, muss man im Leben stark sein.

Aber vielleicht bin ich ängstlich und leide unter Depressionen. Vielleicht  brauche ich dann jeden Tag jemanden, der mich ganz fest umarmt und mir sagt: ‚Mach dir keine Sorgen, alles wird gut‘. Dann ist vielleicht immer noch nicht alles in Ordnung. Doch ich fühle mich zumindest gut, wenn die Sozialarbeiter*in oder jemand, der mich kennt, mich fest umarmt, meinen Arm berührt und sagt: ‚Mach dir keine Sorgen‘.

Das ist das Beste im Leben, denn wir brauchen Liebe. Wir brauchen Menschen, die verstehen, was in deinem Kopf passiert, die verstehen, was du brauchst.“

 

“Ich fühle mich jetzt sicherer” - die Zukunft planen

„Ich habe, wie jede Frau, viele Träume, die ich eines Tages verwirklichen möchte. Ich glaube, ich sehe vieles klarer, seitdem die Menschen in meinem Umfeld mir geholfen haben, sexuelle Probleme, transsexuelle Communities und LGBTIQ+ zu verstehen. Ich fühle mich jetzt sicherer. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass ich zu einer Gemeinschaft gehöre: zu einer Gemeinschaft mit Menschen, die mir ähnlich sind, mit der gleichen Geschlechtsidentität.“

Viele kubanische trans*Menschen wollen wegen der Sprache nach Spanien gehen - unsere Muttersprache ist Spanisch. Aber ich habe mich entschieden, in Griechenland zu bleiben. Ich habe viele griechische Menschen kennengelernt, die sehr nett zu mir waren. Ich fühle mich in Griechenland sicherer als in Kuba.

Ich habe in meinem Leben viel gelernt. Ich bin ein Mensch, der gerne kommuniziert, Communities mag, es mag, Freundschaften zu schließen und Menschen zu helfen. Ich möchte ausgehen. Ich möchte mich frei fühlen. Ich möchte einen Freund haben – einen Griechen natürlich!"

 

Anmerkung der Redaktion: Yuli wurde auf Englisch interviewt und ihre Worte wurden teilweise aus Gründen der Klarheit leicht bearbeitet.

Seit 2016 betreiben wir in Athen eine Tagesklinik. Dort bieten wir umfassende interdisziplinäre Dienstleistungen rund um sexuelle und reproduktive Gesundheit an. Wir kümmern uns um den Bereich seelische Gesundheit und betreuen Überlebende sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt. Außerdem leisten wir medizinische Hilfe für Betroffene nicht übertragbarer Krankheiten. Ein wichtiges Grundprinzip unserer Arbeit in mehr als 70 Länder weltweit ist es, Menschen ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität, politischer und religiöser Überzeugungen zu unterstützen.

* von ihr gewählter Vorname

Sexualisierte und geschlechterspezifische Gewalt

Frauen, Mädchen und als weibliche gelesene Menschen sind sexualisierter Gewalt überdurchschnittlich häufig ausgesetzt. Informieren Sie sich, warum dieses Problem strukturell ist und wie wir Betroffene medizinisch unterstützen.

100 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht

Wir unterstützen durch medizinische Angebote immer dort, wo es nötig ist: in ihrem Heimatland, unterwegs auf ihrem Weg oder in Camps für Menschen auf der Flucht.