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„Es war für uns ein kleines Wunder“

Ihr erster Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen war für Julia Schitke eine prägende Erfahrung. In der Zentralafrikanischen Republik hat die Ärztin erlebt: Auch mit einfachen Mitteln lässt sich schwerstkranken Kindern helfen. So wie dem achtjährigen Dieu-Beni, bei dem sie in diesem Frühjahr schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte. Ein Erfahrungsbericht:

„Nach acht Monaten Einsatz in einer Klinik in der Zentralafrikanischen Republik habe ich vor allem eines gelernt: Demut. Ich habe enormen Respekt davor, wie die Familien dort die vielen Schwierigkeiten und Widrigkeiten des Alltags bewältigen – tausend vermeintliche Kleinigkeiten, die doch so existenziell wichtig sind, und die bei uns so selbstverständlich vorhanden sind. Gleichzeitig fand ich es wunderschön zu sehen, wie mit einfachen Mitteln so vielen Menschen geholfen werden kann. 

Schwerstkranke Kinder bekamen im Krankenhaus in Bambari, das von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, wieder eine Perspektive.

Bereits einige wenige Maßnahmen können extrem hilfreich sein: eine Basispalette an Antibiotika, eine Grundversorgung zur Behandlung der Malaria, ein Ernährungsprogramm, Flüssigkeitstherapie, Tuberkulose- und HIV-Medikamente. Wie wir auch in Ländern mit sehr begrenzten Ressourcen ganz viel erreichen können, zeigte mir die Geschichte von Dieu-Beni, eines meiner schönsten und eindrücklichsten Erlebnisse in diesem Einsatz. 

Als der achtjährige Junge Mitte Februar in die Klinik kam, wog er gerade einmal elf Kilo und hatte eine schwere Lungentuberkulose. Trotz Tuberkulose- und Ernährungstherapie benötigte er auch nach einem Monat bei uns immer noch zusätzlichen, konzentrierten Sauerstoff. Wenn der Strom ausfiel und er mehrere Minuten ohne diesen Sauerstoff auskommen musste, bekam er schlimmste Atemnot. 

Unterstützung aus der Ferne war Gold wert

Es war extrem hilfreich, dass wir uns - insbesondere bei so schwerkranken Kindern wie Dieu-Beni - im Ärzteteam vor Ort austauschen konnten. Darüber hinaus diskutierten wir mit Spezialist*innen von Ärzte ohne Grenzen über eine Online-Plattform, wie wir seine Behandlung optimieren konnten, um ihn vom zusätzlichen Sauerstoff wegzubekommen. Da nicht jede*r Fachärzt*in für alles sein kann, ist gerade diese Unterstützung aus der Ferne Gold wert. 

Wir hatten zusätzlich das Glück, dass in Bambari auch ein Team von „Handicap International“ anwesend war und Dieu-Beni so regelmäßig Physiotherapie erhalten konnte. Darüber hinaus stand ein lokales Team für psychosoziale Gesundheit in regelmäßigem Kontakt zu der Familie, um sie emotional zu unterstützen und gemeinsam Wege zu suchen, wie die Familie den langen Krankenhausaufenthalt finanziell stemmen konnte. Denn da stets ein Elternteil im Krankenhaus sein musste, konnte immer nur einer der Eltern Feuerholz sammeln - als Vertriebene im eigenen Land ihre einzige Chance Geld zu verdienen.

Da Dieu-Beni auch nach sechs Wochen noch zusätzlichen Sauerstoff brauchte, konnten wir ihn weiterhin nicht nach Hause entlassen. Im Krankenhaus dauerhaft bleiben konnte er aber auch nicht.

Immer wieder fragten wir uns, was wir noch machen könnten, damit er leben kann. 

Plötzlich platzte der Knoten

Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, da platzte plötzlich doch noch der Knoten. Ich war Anfang April schon auf der Rückreise nach Deutschland, als ich von meiner Kollegin hörte, dass Dieu-Beni auf einmal große Fortschritte machte. Innerhalb weniger Tage benötigte er keinen zusätzlichen Sauerstoff mehr, sodass er nach insgesamt zwei Monaten im Krankenhaus doch noch mit seinem Vater nach Hause fahren konnte. Es war für uns ein kleines Wunder, über das wir uns im Team alle riesig freuten!

Neben der medizinischen Nothilfe schätze ich an Ärzte ohne Grenzen besonders zwei Dinge: das Prinzip des „Speaking Out“ – Menschenrechtsverletzungen publik zu machen, die wir während unserer Einsätze erleben – sowie die Tatsache, dass Ärzte ohne Grenzen seine Arbeit immer wieder sehr selbstkritisch hinterfragt. In den kommenden Monaten möchte ich nun erstmal meine Ausbildung zur Fachärztin in der Kinderheilkunde beenden und ein paar weitere Jahre Berufserfahrung in Deutschland sammeln. Danach kann ich mir gut vorstellen, wieder für Ärzte ohne Grenzen in einem Projekt mitzuarbeiten.