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Nigeria: In meiner Arbeit steckt mein ganzes Herz

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Unity Enuebuke

Unity Enuebuke

Ich arbeite seit 2010 in einem Projekt von Ärzte ohne Grenzen in Nigeria. Inzwischen leite ich dort die Pflegebelegschaft des Krankenhauses.

Freude und Schmerz liegen bei meiner Arbeit nah beieinander. Ich arbeite hier in Jahun, einer Stadt im Norden Nigerias, in einem großen Projekt von Ärzte ohne Grenzen, das Teil des öffentlichen Krankenhauses ist. Dort betreiben wir eine Entbindungsstation, den Operationssaal und die Blutbank. Auch eine Station, auf der Frauen behandelt werden, bei denen eine Vaginalfistel vorliegt, gehört dazu. Auf dieser Station ist die Gefühlslage besonders intensiv und die Patientinnen dort liegen mir besonders am Herzen.  

Allein und stigmatisiert 

Fisteln sind unnatürliche Verbindungen zwischen Organen, in diesem Fall zwischen Vagina und Blase oder zwischen Vagina und Darm. Sie entstehen zum Beispiel, wenn die Geburt eines Kindes ins Stocken gerät und nicht rechtzeitig ein Kaiserschnitt gemacht wird: Bei einem Geburtsstillstand [1] liegt die Schwangere mehrere Tage in den Wehen. Da der Kopf des Babys dabei ständig auf das Gewebe im Unterleib drückt, wird dieses nicht mehr richtig durchblutet und stirbt ab. Durch die so entstehenden inneren Verletzungen können die Frauen ihren Urin oder Stuhl nicht mehr kontrollieren. Doch damit nicht genug.  

In den meisten Fällen stirbt das Baby bei einem Geburtsstillstand. Unsere Patientinnen leben also nicht nur mit den traumatischen physischen und psychischen Folgen der Fistel. Sie verlieren konstant Urin oder Stuhl und werden durch den daraus resultierenden Geruch oftmals gesellschaftlich gemieden. Meist lassen sich auch ihre Männer scheiden, und zu all dem kommt auch noch die große Trauer um ihr verlorenes Kind. 

Die Frauen begeben sich mit all diesen Traumata und Emotionen in unsere Hände. Viele sind niedergeschlagen, haben depressive Verstimmungen und Angstzustände, fühlen große Scham. 

Unsere Klinik ist für sie ein safe space und ein Ort der Hoffnung: Hoffnung auf Heilung und auf soziale Reintegration. Sie sehen uns Mitarbeiter*innen oft als Retter*innen aus einer schwierigen Situation und wir hoffen mit ihnen, dass wir ihnen helfen können - nicht nur medizinisch, auch psychologisch. 

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Auf Station im Jahun Krankenhaus Nigeria.
“Unsere Klinik ist für die Frauen ein Ort der Hoffnung: Hoffnung auf Heilung und auf soziale Reintegration”, so unsere Krankenpflegerin Unity Enuebuke, die in einem Projekt zur Behandlung von Vaginalfisteln im nigerianischen Jahun arbeitet.
© Holger Vieth/MSF

Gemeinsam sind sie stark 

Wenn ich durch die Fistel-Station unseres Krankenhauses gehe, sehe ich, wie weit wir schon gekommen sind, seit wir 2008 mit der Arbeit begonnen haben. Wir entwickeln uns stetig weiter und lernen aus den Erfahrungen mit den rund 5.700 Fistel-Patientinnen, die wir bisher hier aufgenommen und behandelt haben. Von einer Kapazität von vier Betten und maximal vier Operationen pro Monat haben wir uns auf 55 Betten und rund 36 Operationen im Monat gesteigert. Und nicht nur die Zahlen haben sich verändert: Wir haben uns auch von der rein medizinischen und chirurgischen Behandlung hin zur Vermittlung von Fertigkeiten und psychosozialer Unterstützung der Frauen entwickelt. Da die Bettenkapazität auf der Station nach wie vor begrenzt ist und die Behandlungen relativ lange dauern, lerne ich die Patientinnen während ihres Aufenthaltes gut kennen. Ich gehe gern auf Station, spreche mit den Frauen und begleite sie auf ihrem Weg.  

Unser Behandlungsansatz ist sehr ganzheitlich und patientinnenzentriert, das heißt, dass wir die Frauen psychologisch und physisch über einen längeren Zeitraum auf ihre Operationen vorbereiten und im Heilungsprozess begleiten.

Meine Kolleg*innen bieten Gesundheitsberatungen an und erklären den Frauen, was im Vorfeld wichtig ist, damit die Behandlung funktionieren kann. Sie müssen bestimmte Hygienemaßnahmen einhalten und ausreichend gesund essen, damit ihr Körper zu Kräften kommt. Im Anschluss an die Operationen erhalten die Frauen dann Krankengymnastik, um die Durchblutung der Beckenregion zu verbessern. So kann das Ergebnis der Operation im Hinblick auf den erfolgreichen Verschluss der Fistel, als auch auf das verringerte Risiko einer anhaltenden Harninkontinenz verbessert werden. Die parallel stattfindenden psychosozialen Beratungen, Selbsthilfegruppen und Gemeinschaftsaktivitäten führen dazu, dass die Patientinnen mental gestärkt werden und untereinander starke langfristige Verbindungen knüpfen. Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie die Frauen mit der Zeit zu einer engen Gemeinschaft werden. Sie alle haben ähnliche schwere Erfahrungen gemacht, sie verstehen einander, sie können sich gegenseitig unterstützen, beraten, miteinander sprechen ohne Stigma und Tabu. 

Am Ende gibt es ein Fest und die Herausforderung der Rückkehr 

Wenn eine Gruppe von Frauen die Behandlung abgeschlossen hat und sie zurück in ihre Gemeinschaften gehen können, richten wir immer ein kleines Fest aus. Wir drehen die Musik auf, kochen leckeres Essen und feiern zusammen, was wir erreicht haben. 

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Patientin Halima Umaru und leitende Krankenpflegerin Unity Enuebuke
Patientin Halima Umaru und leitende Krankenpflegerin Unity Enuebuke präsentieren Handarbeitsprodukte.
© Holger Vieth/MSF

Wenn die Frauen unser Projekt dann verlassen, nehmen sie auch neue Fertigkeiten mit, die ihnen die Rückkehr in ihre Gemeinschaften erleichtern sollen. Denn während der Behandlungszeit erhalten sie auch die Möglichkeit, ein Handwerk zu lernen: etwa die Herstellung von Pasta oder das Flechten von Körben und Schalen. Diese Fertigkeiten ermöglichen es ihnen, sich in ihren Gemeinden einen gewissen finanziellen Freiraum zu schaffen. Sie können zudem dazu beitragen, dass sie wieder in die sozialen Netzwerke integriert werden, die sie durch ihre Fisteln verloren haben. 

Jede dieser Frauen ist eine Botschafterin: Wenn andere Frauen in ihrem Umfeld von Fisteln betroffen sind, weiß sie, wo sie Hilfe finden und behandelt werden können. Sie weiß aber auch, wie viel emotionale Unterstützung die Betroffene braucht.

Freude und Schmerz sind in meiner Arbeit dicht beieinander 

Wir bleiben mit unseren ehemaligen Patient*innen auch noch lange nach ihrer Behandlung bei uns in Kontakt. Wenn sie erneut schwanger werden, sollten sie unbedingt zur Vorsorge zu uns kommen und wenn möglich per Kaiserschnitt entbinden, damit es nicht erneut zu einer Fistelbildung kommt. 

Immer, wenn wir eine Patientin behandeln können, sie geheilt und trocken nach Hause geht, sind wir glücklich - das ist ein Gewinn für uns als Team. Aber leider kommt es auch immer wieder vor, dass Patientinnen nicht geheilt werden können. Wenn wir sie inkontinent nach Hause schicken müssen, macht uns das traurig, denn ihr soziales Leben bleibt gestört. Sie werden von ihren Freund*innen oft nicht freudig empfangen, und häufig lassen sich ihre Männer von ihnen scheiden. Das ist alles sehr herausfordernd. Diese Frauen leiden sehr unter den sozialen Folgen, die die Fisteln mit sich bringen. 

Ich fühle ihren Schmerz 

Ich fühle den Schmerz dieser Frauen so sehr. Und ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass die Gemeinschaften, aus denen die Frauen kommen, ihnen Halt geben, statt sie abzulehnen. 

Mit verschiedenen Kampagnen versuchen wir die Bevölkerung zu sensibilisieren. Darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen, bei denen es zu Komplikationen während der Geburt kommt, so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht werden sollten. Sie müssen nicht zu hause leiden und eine Gefahr für sich und das Kind eingehen.

In dieser Klinik steckt mein Herzblut. Ich bin schon so viele Jahre hier und bin gewachsen, habe mich weiterentwickelt. Ich konnte durch die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe, neue Positionen übernehmen und leite nun die gesamte Pflegebelegschaft im Projekt. Hier arbeiten so viele Menschen Tag und Nacht daran, dass die Patient*innen qualitativ hochwertig versorgt werden. Auch wenn es manchmal nicht einfach ist, die Frauen auf ihrem schwierigen Weg zu begleiten, ihnen Halt zu geben, sie zu stärken, schenkt mir diese Arbeit doch auch immer Kraft.  

Zu sehen, wie viele von unseren Patientinnen gesund werden, Hoffnung schöpfen und schließlich in ihr soziales Leben zurückkehren können, berührt mich sehr. 

Und wenn ich mir eine Sache wünschen dürfte, dann wäre das eine fistelfreie Welt.