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Mexiko: Sie sind keine Bedrohung, sie suchen Schutz

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Foto von Anayeli Flores

Anayeli Flores

Ich arbeite seit fünf Jahren mit Ärzte ohne Grenzen als politische Referentin für humanitäre Angelegenheiten in meiner Heimat Mexiko.

Die Bedingungen für Migrant*innen in Reynosa, einer Grenzstadt zwischen Mexiko und den USA, haben sich in den letzten Wochen drastisch verschlechtert. In der Hoffnung, dass “Titel 42” endlich aufgehoben wird, kommen weiterhin Tausende von Menschen in der nordöstlichen Stadt an. Die Abschieberegel Titel 42 entstand anlässlich der Covid-19-Pandemie und erlaubt es der US-Regierung aktuell unter dem Vorwand des Infektionsschutzes Migrant*innen sofort und ohne ordnungsgemäßes Verfahren auszuweisen.

Vertreibung und Gewalt anstatt Schutz

Die aktuelle Migrationspolitik der Vereinigten Staaten und Mexiko kriminalisiert Migrant*innen und verursacht somit an Grenzorten wie Reynosa humanitäre Krisen. Die ankommenden Menschen sind auf der Suche nach Schutz – finden sich stattdessen aber in raue Wetterbedingungen, fehlendem Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen sowie einem konstanten Zustand der Unsicherheit wieder:

Es gibt keinen Platz mehr in den Unterkünften, viele leben daher auf der Straße. Zusätzlich ist es in dieser Region extrem heiß   – ohne Trinkwasser und Toiletten hat das für die Menschen schwere gesundheitliche Folgen. Die Lage ist kritisch!

In den letzten Wochen haben außerdem die Spannungen zwischen den rivalisierenden Gruppen des Organisierten Verbrechens, die im Norden des Landes um die lokale Vorherrschaft kämpfen, zugenommen. Das führt zu noch größeren Risiken für die ohnehin schon gefährdeten Menschen.  

Wir bleiben  

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Zwei Mitarbeiterinnen unseres Teams der Gesundheitsberatung sprechen mit einer Frau in einer Unterkunft
Neben der medizinischen Versorgung sprechen unsere Teams für Gesundheitsberatung mit den Menschen in den Unterkünften.
© MSF/Anayeli Flores

Ärzte ohne Grenzen ist eine der wenigen Organisationen, die noch in Reynosa tätig sind. Derzeit leben etwa 2.400 Menschen in den beiden Unterkünften, in denen wir arbeiten. Wir können aber nicht genau abschätzen, wie viele Migrant*innen in den umliegenden Gebieten und auf den Straßen leben.  

Um so gut wie möglich, für die Menschen da zu sein, haben wir daher unsere Teams aufgestockt, indem wir medizinisches und logistisches Personal sowie Medikamente und Flüssigkeitsvorräte erweitert haben. Wir führen medizinische und psychologische Beratungen durch, liefern Trinkwasser und unterstützen durch soziale Arbeit.  

Wir sind überwältigt!

Trotz unserer Bemühungen, so vielen Menschen wie möglich zu helfen, sind wir von der Anzahl der schutzsuchenden Migrant*innen überwältigt. Die Anzahl derjenigen, die medizinische Versorgung benötigen, steigt ebenfalls stetig.   

Unsere medizinischen Teams behandeln zumeist Atemwegserkrankungen, Magen-Darm- sowie Hautinfektionen und gynäkologische Beschwerden. Alarmierend ist hierbei vor allem die Zahl der Konsultationen für Schwangere: Sie hat sich in den letzten Wochen verdreifacht. Das Gleiche gilt für die Zahl der Konsultationen für Kinder unter fünf Jahren. Was die psychische Gesundheit betrifft, so sind posttraumatische Belastungsstörungen, Angstzuständen, Trauer oder Verlust und Depressionen weit verbreitet.  

Wenn wir nicht blieben, was dann?  

Wir sind besorgt über die begrenzte Beteiligung der Vereinten Nationen in der Lösung dieser Krise – und das trotz der Hinweise auf die vielschichtigen Herausforderungen, mit denen wir bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung konfrontiert sind. Wir rufen weiterhin zur Zusammenarbeit auf, um die akute Krisensituation der Migrant*innen zu verringern.  

Obwohl wir wissen, dass unsere Möglichkeiten angesichts des Ausmaßes der Gesundheitsbedürfnisse begrenzt sind, konzentrieren sich unsere Teams weiterhin darauf, die am stärksten gefährdeten Fälle zu identifizieren, sie zu versorgen und rechtzeitig an das öffentliche System zu überweisen.   

Würden wir unsere Arbeit nicht fortführen können, wäre für viele Patient*innen die einzige Möglichkeit, medizinische Versorgung zu erhalten, verloren. Das darf nicht der Fall sein.   

Die Verantwortlichen müssen aufhören, wegzuschauen.  

Die ständige Kriminalisierung der Migrant*innen und die Praktiken der mexikanischen Regierung hat dazu geführt, dass Menschen auf der Flucht immer mehr Risiken ausgesetzt sind.   

Es ist von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass es die gegenwärtigen globalen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen sind, die die massive Abwanderung von Menschen aus ihren Herkunftsländern verursachen.  

Migrant*innen stellen eine Chance für das Wachstum der Transit- und Aufnahmeländer dar, keine Bedrohung. Die Zusammenarbeit von Regierungen und internationalen Akteuren ist daher erforderlich, um die Würde und Sicherheit von Migrant*innen und Geflüchteten zu gewährleisten, denn die Suche nach Schutz und Sicherheit ist kein Verbrechen.