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Kenia: Marthas Kampf mit der Tuberkulose

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Foto von der Ärztin Sayontonee Ghosh, sie steht zentral im Bild und lächelt

Sayontonee Ghosh

Ich bin Ärztin für Atemwegsmedizin und komme aus Australien. Mit Ärzte ohne Grenzen war ich in Homa Bay, Kenia, im Einsatz.

Martha und ich kommen am selben Tag im Krankenhaus in Homa Bay an. Ich treffe sie bei meiner ersten Visite auf der Tuberkulose-Station. Sie ist die kleinste junge Frau, die ich je gesehen habe - sie wiegt etwa fünfundzwanzig Kilo und ihre dunklen Augen sind eingesunken.

Die Menschen hier in Homa Bay, Kenia sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert: viele Menschen sind an HIV oder Tuberkulose erkrankt, das Wasser ist knapp und Covid-19 hat die Gemeinden hier schwer getroffen.  

Wir unterstützen das hiesige Krankenhaus bei medikamentösen und nicht-medikamentösen Behandlungen sowie mit Personal und Labordiensten. Zusätzlich betreiben wir eine Klinik für die Nachsorge und fortlaufende Unterstützung peripherer Standorte. Ziel ist es, die Versorgung der Patient*innen zu verbessern und die Sterblichkeitsrate zu senken.

 

Flüssigkeit in der Lunge und stark mangelernährt

Martha* wird mit Husten und Kurzatmigkeit eingeliefert.  Sie hat einen niedrigen Blutdruck, eine langsame Herzfrequenz und eine ungewöhnlich niedrige Körpertemperatur. Martha* ist nicht in der Lage, selbstständig zu gehen oder sich im Bett aufzusetzen. Auf dem Röntgenbild ihres Brustkorbs ist eine große Flüssigkeitsansammlung zu erkennen, die ihren linken Lungenflügel umhüllt und ihn zum Kollabieren bringt.   

Trotzdem behält sie ihren Lebensmut und als wir sie bei der Visite fragen: "Ichiewo nade?" (Wie ist dein Morgen?), antwortet sie: "Achiewo ma ber" (Mein Morgen verläuft gut).  

Später, als unser medizinischer Leiter zur Visite kommt, warnt er mich: “Sei sehr vorsichtig mit dieser Patientin, sie ist sehr krank".  

 

Langsame Fortschritte

Wir führen eine Thoraxdrainage durch, um die Flüssigkeit um die Lunge herum zu entfernen – dabei wird unter lokaler Betäubung ein dünner Schlauch in den Brustkorb eingeführt und mit einer großen Spritze die Flüssigkeit abgesaugt. Martha kann direkt leichter atmen.  Die Flüssigkeit verwenden wir für die Diagnose und die Laboranalyse zeigt, dass wahrscheinlich Tuberkulose (TB) die Ursache für ihre Symptome ist.   

Martha erhält daraufhin Anti-Tuberkulose-Medikamente: vier Medikamente und ein Vitamin. Der TB-Organismus ist ein langsam wachsendes Bakterium, und die Patient*innen haben oft wochen- bzw. monatelang Symptome, bevor sie ins Krankenhaus kommen und sich medizinische Unterstützung holen.  

Nach Beginn der Behandlung kann die Genesung, insbesondere bei mangelernährten und geschwächten Patient*innen, sehr langsam verlaufen. Wie alle Tuberkulosepatient*innen muss Martha die Medikamente sorgfältig einnehmen: Eine versäumte Medikamenteneinnahme kann zu arzneimittelresistenten Formen der Krankheit führen. Wir überwachen Martha genau, denn die Medikamente gegen TB haben zum Teil starke Nebenwirkungen.

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Fotografie eines Zimmers im Homa Bay Hospital; zwei Ärzt*innen machen Visite bei den Patient*innen
Ärzt*innen im Homa Bay Hospital machen ihre Visite und kontrollieren den Zustand der Patient*innen
© Njiiri Karago/MSF

In den nächsten Wochen kämpfen wir gegen die neue Flüssigkeitsansammlung in Marthas Lunge an. Sie benötigt zwei weitere Thoraxdrainagen, aber eine Verbesserung tritt nur bedingt ein. Sie würde von der Expertise von Herz-Thorax-Chirurg*innen profitieren, leider gibt es keine in diesem Krankenhaus. Wir müssen also abwarten, bis die TB-Medikamente wirken.   

Marthas Infektion wird außerdem dadurch verschlimmert, dass sie akut mangelernährt ist. Wie so viele andere, die wir hier stationär betreuen. Diese Patient*innen sind so untergewichtig, dass ihre Knochen aus der Haut ragen. Denjenigen, die wie Martha nicht stark genug sind, um sich aufzusetzen oder im Bett zu drehen, helfen die Krankenpfleger*innen alle zwei Stunden die Position zu wechseln, um schmerzhafte Druckgeschwüre zu vermeiden.

 

Einen Monat später   

Ich arbeite inzwischen auf der Covid-19-Station und sehe Martha daher nicht mehr bei meiner täglichen Visite. Aber bei einer Wochenendschicht, bei der ich die schwerer kranken stationären Patient*innen betreue, bin ich bei Martha und wir stellen fest, dass sie einen Dekubitus entwickelt hat - ein solches Druckgeschwür, das wir versuchen zu vermeiden, indem wir die Patient*innen immer wieder anders betten. Das ist eine häufige Komplikation längerer stationärer Klinikaufenthalte.  

Unser Krankenpfleger für Infektionskontrolle spült die Wunde mit Hilfe eines Lokalanästhetikums, wodurch das abgestorbene Gewebe entfernt wird. Im Anschluss daran wird Marthas Verbandtäglich gewechselt und sie bekommt intravenöse Antibiotika.

 

Zwei Monate später   

Ich höre von den anderen Ärzt*innen im Krankenhaus, dass Martha vielleicht bald nach Hause gehen kann und besuche sie auf der Tuberkulosestation.

Ich bin begeistert:  sie scheint gut zuzunehmen, die Furchen in ihrem Gesicht sind jetzt viel weicher und nicht so tief.

Die Ernährungsberaterin hat sie mit proteinreichen Mahlzeiten versorgt und sie erhält Zusatznahrung von uns, wie alle mangelernährten Patient*innen.  Marthas Familie bringt auch oft Omena, Sardinen aus dem Viktoriasee, für sie mit. Sie kann immer noch nicht stehen, sich aber inzwischen selbstständig im Bett aufrichten. Ich sehe, wie sie sich auf ein Kissen stützt und ihren getrockneten Fisch kaut.  

Nach fast drei Monaten Krankenhausaufenthalt wird Martha endlich entlassen und kann nach Hause zu ihrer Familie.

 

Vier Monate später  

2018 hat Ärzte ohne Grenzen in Homa Bay eine Nachsorgeklinik für Patient*innen mit HIV, Tuberkulose und chronischen Krankheiten eingerichtet, um diese komplexen, anhaltenden medizinischen Probleme besser angehen zu können.

Als ich von einer Visite zurückkehre, sehe ich Marthas vertrautes Gesicht auf den Stühlen vor der Klinik. Sie erkennt mich wieder und winkt mir zu.

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Foto von der Ärztin Sayontonee Ghosh, sie steht zentral im Bild und lächelt
© Sayontonee Ghosh/MSF

Ich begleite Martha zu ihrer monatlichen Untersuchung. Alle ihre Vitalwerte sind stabil. Sie isst ausreichend zu Hause und wird von der Ernährungsberaterin weiterhin mit Nahrungsergänzungsmitteln unterstützt.

Die Wunde ihres Druckgeschwürs ist fast vollständig abgeheilt. Sie nimmt ihre Anti-TB-Medikamente sorgfältig ein, ohne dass es zu Nebenwirkungen kommt. Sie besucht auch wöchentlich unsere Physiotherapie, um Muskeln aufzubauen. Ihre Fortschritte sind langsam, aber stetig.   

Während ihrer Konsultation kommen andere Mitarbeiter*innen vorbei, um sie zu begrüßen - Dr. Barbara, die sie auf der Station betreut hat, die Pflegemanagerin Tomomi, die ihr bei der Wundversorgung geholfen hat und der Pflegedienstleiter Jonah, der in der Tuberkulose-Station arbeitet.   

Wir freuen uns alle sehr, dass Martha die kritische Phase ihrer Krankheit überstanden hat, nach Hause gehen konnte und sich ihr gesundheitlicher Zustand stetig verbessert.

Martha war eine unserer Langzeitpatient*innen und ist jetzt, fünf Monate später, eine Erfolgsgeschichte.

 

*Name und identifizierende Details wurden geändert.