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Antibiotikaresistenzen: Wie Dr. Stéphane Dorismond in Haiti Leben rettet

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Portrait von Sophie Pooley

Sophie Pooley

Die Anästhesistin Sophie Pooley berichtet nach ihrer Rückkehr aus Port-au-Prince, Haiti von ihren Kolleg*innen dort, die mit ihrem Engagement und ihren Entscheidungen einige der am meisten gefährdeten Patient*innen des Krankenhauses schützen.

Dieser Text bezieht sich auf unser Projekt vor den aktuellen Ereignissen: Wir sahen uns am 20.11.2024 gezwungen, unsere Aktivitäten im Großraum Port-au-Prince bis auf Weiteres einzustellen. Wiederholt hatten Polizeikräfte unsere Mitarbeitenden bedroht.

Unsere Haut ist die erste Verteidigungslinie, die unseren Körper vor Bakterien und anderen schädlichen Organismen schützt. Bei einer schweren Verbrennung ist diese Schutzbarriere beschädigt, und das Immunsystem schaltet sich ab: Einer Infektion steht dann buchstäblich nichts mehr im Wege. 

In Port-au-Prince erleiden Menschen oft Brandverletzungen. Hier zu leben und zu arbeiten, ist äußerst schwierig. Die Stadt befindet sich seit März 2024 im Ausnahmezustand: bewaffnete Gruppen haben die Kontrolle über einige Gebiete übernommen, die zuvor in der Hand der Regierung waren. Die bewaffneten Gruppen kontrollieren den Warenverkehr (einschließlich medizinischer Güter) in und aus der Stadt. 

Zu Brandverletzungen kommt es zum einen durch vorsätzliche Angriffe und zum anderen durch die nicht gesicherte Versorgung mit Brennstoffen. Viele Menschen verwenden beispielsweise zum Kochen unsichere Gasflaschen oder Benzin. Das Benzin lagern sie teilweise in Kanistern zu Hause, um im Fall eines Engpasses versorgt zu sein. 

Unser Krankenhaus in Tabarre, Port-au-Prince, ist das einzige auf Verbrennungen spezialisierte Zentrum des Landes. Wir behandeln dort vorrangig die schwersten Verbrennungen. Bei dieser Art von Verletzungen kommt es oft zu einer Kontamination und das Risiko einer lebensbedrohlichen Infektion ist dann sehr real.

Das Dilemma: Antibiotika ja oder nein? 

Eine der häufigsten und gefährlichsten Komplikationen einer Infektion ist die Sepsis. Das ist eine schwere systemische bakterielle Infektion. Dies ist ein lebensbedrohlicher Zustand, bei dem der Körper beginnt, seine eigenen Organe und Gewebe zu schädigen. In so einem Fall hilft die schnelle Verabreichung von Breitband-Antibiotika. Der Einsatz dieser Medikamente birgt aber Gefahren:

Wenn Antibiotika oft und ungezielt verabreicht werden, können Patient*innen Infektionen entwickeln, die gegen diese spezifischen Medikamente resistent sind. Da die Bakterien in immer größerem Umfang arzneimittelresistent werden, sinkt die Zahl der Möglichkeiten, die Ärzt*innen zur Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Sepsis haben. 

Irgendwann bleiben dann nur noch Antibiotika übrig, die wegen der schweren Nebenwirkungen normalerweise vermieden werden. Bei diesen Medikamenten der dritten oder vierten Wahl sind die Nebenwirkungen weit schlimmer als Juckreiz oder Übelkeit. Einige können zu Nierenversagen, Leberversagen oder Enzephalitis führen. Das sind an sich schon ernste Gesundheitsprobleme - für Patient*innen, denen es sowieso schon sehr schlecht geht, eine entsprechend größere Belastung. Doch wenn eine Sepsis das Leben der Patient*innen gefährdet, können diese Medikamente die einzige Wahl sein. 

In manchen Fällen stehen den Ärzt*innen überhaupt keine wirksamen Antibiotika mehr zur Verfügung. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel zu fast 5 Millionen Todesfällen pro Jahr beiträgt.

Ganz wichtig: Die richtige Diagnose und genaue Beobachtung

Oft ist es jedoch schwierig zu erkennen, ob jemand mit Verbrennungen eine Sepsis hat oder nicht. Der Körper reagiert auf schwere Verbrennungen mit einer Ganzkörperentzündung, wie er es auch bei einer Sepsis tun würde. Die Symptome sind sehr ähnlich: hohes Fieber, Veränderung der Herzfrequenz- und des Blutdrucks.  

Das medizinische Team in Tabarre ist im Umgang mit Antibiotika geschult und Ärzte ohne Grenzen hat einen speziellen Leitfaden für den Einsatz von Antibiotika bei Verbrennungspatient*innen entwickelt. Wenn Patient*innen an einer so ernsten Krankheit wie Sepsis leiden könnten, ist es jedoch nur natürlich, dass Ärzt*innen alles tun wollen, um sie zu behandeln, und den Patient*innen "für alle Fälle"  Breitband-Antibiotika geben. Deshalb gibt es Dr. Stéphane Dorismond. Er ist Arzt und hat außerdem die Spezialausbildung von Ärzte ohne Grenzen für Antibiotika-Stewardship (ABS) absolviert. Seine Aufgabe ist es, die Patient*innen zu schützen, indem er das Risiko der Resistenzbildung so weit wie möglich reduziert. 

Dr. Dorismond spricht sowohl mit den Patient*innen als auch mit den Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und Chirurg*innen des Teams in Tabarre, um den Verlauf der Wundheilung und den allgemeinen Zustand der Patient*innen zu verstehen. Er analysiert die klinischen Anzeichen und Testergebnisse genau und hilft dabei festzustellen, ob eine Patient*in wirklich eine bakterielle Infektion hat oder ob es die Reaktion des Körpers auf die schweren Verbrennungen ist. Das ist Antibiotika-Stewardship: der rationale und verantwortungsvolle Einsatz von Antibiotika. Zunächst wird der Erreger der Infektion ermittelt, dann gegebenenfalls das geeignete Antibiotikum ausgewählt und Therapie­dauer, Dosierung und Form der Antibiotikagabe angepasst. 

Die Rolle von Dr. Dorismond als „Türsteher” ist komplex: Neben Fachwissen braucht er gute Kommunikationsfähigkeiten, um das Team bei der Arbeit mit den Protokollen zu unterstützen und das beste Ergebnis für die Patient*innen zu erzielen.

Eine brisante Situation

Dr. Dorismonds Aufgabe wäre überall schwierig und anstrengend, aber die instabile Sicherheitslage in Haiti bringt zusätzliche Herausforderungen mit sich. Die Kontrolle der bewaffneten Gruppen führt zum Beispiel dazu, dass uns - trotz der Bemühungen unserer Logistiker*innen und Apotheker*innen - allmählich die medizinischen Vorräte ausgingen, darunter auch intravenöse Antibiotika. 

Wir mussten damit beginnen, Patient*innen mit nicht resistenten Infektionen die Medikamente der zweiten Wahl zu geben. Da wir hiervon noch Vorräte hatten. Das sind die Medikamente, die wir normalerweise für Patient*innen mit resistenten Bakterien aufbewahren. Es war also keine ideale Situation. Hätten wir jedoch nicht bereits ein strenges Stewardship praktiziert, hätte es noch viel schlimmer kommen können. 

Dr. Dorismond führte das Team durch neue Behandlungspfade: Kein*e Patient*in blieb ohne Behandlungsmöglichkeiten, und wir konnten die Medikamente mit den schädlichsten Nebenwirkungen vermeiden.

Ein weltweiter Aufruf

Bei Ärzte ohne Grenzen sehen wir die Auswirkungen der Antibiotikaresistenz jeden Tag. Nicht nur in Haiti, sondern in vielen ressourcenarmen Gebieten, in denen wir tätig sind. Spezialisierte Antibiotika-Stewardship-Funktionen wie die von Dr. Dorismond sind von entscheidender Bedeutung, aber sie sind nur ein Instrument in der Arbeit zum Schutz der Patient*innen.

Deshalb fordert Ärzte ohne Grenzen mehr Investitionen in die Laborinfrastruktur, in Schulungen und in die Optimierung der Infektionsprävention und -bekämpfung in ressourcenarmen Gebieten auf der ganzen Welt. Nur mit diesen Investitionen werden genaue Diagnosen und gezielte Behandlungsmöglichkeiten für alle Patient*innen zur Verfügung stehen. Somit kann Antibiotikaresistenz bekämpft und letztlich Leben gerettet werden.