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Viele realisieren es erst, wenn es zu spät ist

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Jamila Oliveira Costa

Jamila Oliveira Costa

Ich bin Krankenpflegerin in Porto Velho, im brasilianischen Bundesstaat Rondonia.

Im Norden Brasiliens steht das “Covid-Kit” hoch im Kurs. Der Medikamentencocktail wird von den brasilianischen Behörden seit Beginn der Pandemie als Allheilmittel beworben und enthält Hydroxychloroquin (ein Malariamittel) und Ivermectin (ein Antiparasitikum) sowie einige Antibiotika. 

Obwohl klinische Studien belegen, dass die Medikamente nicht wirksam sind, um Covid-19 vorzubeugen oder zu behandeln, findet das “Covid-Kit” bei der verängstigten und verunsicherten Mehrheit der Bevölkerung großen Anklang. Die Fehlinformationen vermitteln ein falsches Gefühl der Sicherheit und in Kombination mit der leichten Verfügbarkeit des Medikamentencocktails kommt es zu sehr gefährlichen Verhaltensweisen, die wir jeden Tag beobachten können: 

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Eine Patientin, die eine Sauerstoffmaske trägt, wird untersucht
Viele der Patient*innen kommen erst in einem sehr besorgniserregendem Zustand in die Kliniken, nachdem sie die Medikamente eingenommen haben.
© Diego Baravelli

Viele Menschen werden risikofreudiger: Sie halten nicht ausreichend Abstand und kommen oft erst in kritischem Zustand in die Gesundheitseinrichtungen. Einige Menschen nehmen sogar höhere Dosen des Medikaments über einen längeren Zeitraum als vorgegeben, weil ihnen vermittelt wird, dass sie auf diese Weise gegen die neuen Virusvarianten geschützt sind.  

"Ich bin noch nicht geimpft, aber ich nehme das Kit"

Hier in Rondonia hat die überwiegende Mehrheit der Patient*innen, die aufgrund von Covid-19 medizinische Hilfe benötigen, das "Covid-Kit" eingenommen. Letztes Jahr, als ich in den Außenbezirken von São Paulo arbeitete, war dies nicht üblich, aber hier im Norden Brasiliens scheint der Gebrauch weit verbreitet zu sein.  

Ein Satz, den wir immer wieder hören ist: "Ich bin noch nicht geimpft, aber ich nehme das Kit." Als ob die Medikamente eine Art von Immunität verleihen.  

Es gibt Eltern, die das Medikament ihren kleinen Kindern geben. Die Mutter eines vier Jahre alten Kindes, sagte mir: "Kinder haben keine Symptome, wenn sie infiziert sind, also ist es besser, es ihnen präventiv zu geben, damit sie nichts verbreiten können.” 

Wenn wir auf solche Situationen aufmerksam werden, klären wir darüber auf, dass die einzigen wirksamen Präventionsmaßnahmen gegen Covid-19 regelmäßiges Händewaschen, körperlicher Abstand und die Verwendung von Masken sind. 

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Krankenbetten in Porto Velho
Die Notfallstation in Porto Velho ist normalerweise nur für die Stabilisierung von Patient*innen vor der Verlegung gedacht.
© Diego Baravelli

Sogenanntes "Covid-Kit" ist nicht wirksam

Wir haben eine ganze Familie behandelt, die während der Einnahme des "Covid-Kits" erkrankte. Die Mutter und der Vater wurden in eine Notfallstation eingeliefert. Ihr Sohn brachte ihnen jeden Tag etwas zu essen vorbei, obwohl auch er positiv auf Covid-19 getestet worden war. Diese Notfallstationen sind keine richtigen Krankenhäuser, sondern dienen dazu, das überfüllte System zu entlasten. Die meisten von ihnen haben aber nicht die nötige Infrastruktur und zu wenig Personal, um Mahlzeiten bereitzustellen und zu verteilen. Daher übernimmt in der Regel ein Familienmitglied diese Aufgabe- unter erheblichem Risiko für sich selbst.  

"Wir haben alle diese Medikamente genommen, und mir geht es sehr schlecht. Sie sind nutzlos!", sagte der herzkranke Vater bei einem der Besuche seines Sohnes. "Durch meine gesundheitlichen Probleme ist es noch schlimmer geworden". Ein paar Tage später musste er intubiert werden und starb. Seine Frau und sein Sohn erholten sich beide.  

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Eine Krankenstation in Porto Velho
Viele Notfallstationen in Rondonia haben nicht die nötige Infrastruktur und zu wenig Personal.
© Diego Baravelli

Ein dramatischer Weckruf

Die Tatsache, dass ganze Familien erkrankten und einige sogar starben, 'obwohl' sie das 'Covid-Kit' eingenommen hatten, war ein Weckruf für einige Menschen.

Es ist wirklich traurig, aber es scheint, dass erst wenn eine Patient*in intubiert wird oder stirbt, die Angehörigen erkennen, dass diese sogenannte "Frühbehandlung" nicht wirksam ist.  

Trotz all der Traurigkeit und Herausforderungen ist es unsere Pflicht, jeden einzelnen Tag weiterzuarbeiten, damit die tatsächlich wirksamen Präventionsmaßnahmen gegen die Krankheit in der Bevölkerung verstanden und befolgt werden.