Direkt zum Inhalt

Epidemien, Klimawandel und humanitäre Krise - Ein Rückblick

In Niger kommt es immer wieder zu gewaltsamen Konflikten zwischen nichtstaatlichen und militärischen Gruppen. Gleichzeitig ist das Land in der Sahelzone gewissermaßen Drehkreuz für Migrant*innen, Asylsuchende und vertriebene Menschen. Unsere Teams unterstützen entlang der Migrationsrouten die lokalen Gesundheitsbehörden bei der medizinischen Versorgung der Menschen. Gleichzeitig arbeiten wir seit vielen Jahren mit dem Gesundheitsministerium zusammen, um auf wiederkehrende Epidemien im Niger zu reagieren. Dr. Maman Karsou betreute als Notfallkoordinator eine unserer Impfkampagnen und berichtet hier von seinen Eindrücken:

"Ich habe bereits zwölf Impfkampagnen mit Ärzte ohne Grenzen betreut. Wir führen regelmäßig Impfungen in Ländern auf der ganzen Welt durch, je nach Bedarf. Die diesjährige Kampagne in Niger war jedoch geprägt von vielen Herausforderungen.  

In den vergangenen Jahren war es zu einem besorgniserregenden Rückgang bei der Durchimpfungsrate im Land gekommen. In Niamey, der Hauptstadt von Niger, von wo aus ich die Impfkampagne koordinierte, erreichte kein einziger Gesundheitsbezirk im Jahr 2020 eine Durchimpfungsrate von 85 Prozent gegen Masern. Nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte die Durchimpfungsrate mindestens bei 95 Prozent liegen, um die Menschen besser vor Masern zu schützen. Wenn sich dieser Abwärtstrend bei den Impfungen weiter fortführt, könnte dies in den kommenden Jahren zu schweren Krankheitsausbrüchen führen.

Verunsicherung als größte Herausforderung 

In diesem Jahr beobachteten wir eine gewisse Unsicherheit in den Gemeinden gegenüber den Covid-19-Impfungen und der von uns durchgeführten Auffrischungsimpfkampagne gegen Masern. Dies führte zu einer niedrigen Impfquote der lokalen Bevölkerung. In Niamey, wie auch in Magaria, haben sich unsere Teams mit Gerüchten und Falschinformationen auseinandersetzen müssen, die seit letztem Jahr rund um den Coronavirus-Impfstoff kursieren. Die Menschen haben Zweifel an den Impfstoffen. Das ist unsere größte Herausforderung. 

Ich erinnere mich, dass im Jahr 2015, während der letzten großen Meningitis-Epidemie in Niger, die Menschen in die Apotheke gingen, um den Impfstoff selbst zu kaufen. Dieselben Eltern, die diesen Impfstoff, ohne zu zögern gekauft haben, vertrauen ihm jetzt nicht mehr.

Die zweite Herausforderung, die angegangen werden muss, sind die sozioökonomischen Auswirkungen auf die lokalen Gesundheitssysteme. In diesem Jahr sahen wir uns beispielsweise mit einer Verzögerung bei der Beschaffung des Impfstoffs gegen Meningitis und Masern konfrontiert, weil der Jahresvorrat an Impfstoffen in Niger gesunken war. Seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie haben wir eine stärkere Mobilisierung von Finanzmitteln für die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus und für die stationäre Behandlung von Patient*innen mit Covid-19 auf der ganzen Welt erlebt. Doch in Ländern, wie Niger, die anfälliger für Epidemien sind, ersetzt das eine nicht das andere. Daher muss eine gerechte Verteilung der Mittel sichergestellt werden, um eine Verschlechterung der Gesundheitssituation im Land zu vermeiden.
 

Gelebte Realitäten – Epidemien und Klimakrise  

Neben all diesen Schwierigkeiten, die direkt mit Covid-19 zusammenhängen, gibt es noch eine weitere Realität, die wir nicht länger ignorieren können: Der Klimawandel hat unbestreitbar Auswirkungen auf das Auftreten von Epidemien. 

Es ist bekannt, dass in Regionen wie der Sahelzone und der Sahara, während der Trockenzeit starker Staub eine Rolle bei der Verbreitung von Meningitis spielt. Denn es handelt sich um ein Bakterium, das durch die Luft übertragen wird. Epidemien neigen dazu, von selbst zu verschwinden, wenn die Regenzeit beginnt, aber mit dem Klimawandel waren die Regenfälle in Niamey und Magaria unregelmäßig und demzufolge bleiben die Fälle von Meningitis und Masern hoch.

Impfen als erste Priorität 

Während sich die Welt mit Covid-19 auseinandersetzt, können wir nicht zulassen, dass die Anstrengungen, die über Jahre hinweg bei der Bekämpfung anderer Epidemien in Ländern wie Niger unternommen wurden, umsonst waren. Die epidemiologische Situation erlaubt es uns nicht, die routinemäßigen Impfaktivitäten gegen Masern oder Meningitis erlahmen zu lassen. Wir können nicht auf eine weitere Epidemie warten, um eine neue Impfkampagne zu starten.

Mit der Hilfe aller wird es uns gelingen, diese Krankheiten auszurotten, so wie es in anderen Ländern der Welt der Fall war.

Als Mitglieder einer medizinischen Notfallorganisation setzen wir uns mit den wiederkehrenden Epidemien auseinander, die in Niger und der Welt grassieren. Jedes Mal greifen wir auf die bisherigen Erfahrungen zurück, um uns besser auf den nächsten Einsatz vorzubereiten. Gleichzeitig überwachen wir die allgemeine epidemiologische Situation. So sind wir bei Bedarf in der Lage schnell zu reagieren und können die Gesundheitssysteme der Länder besser unterstützen. Dort wo Falschinformationen um Impfstoffe verbreitet sind und die Menschen so davon abhält sich impfen zu lassen, müssen wir weiter Aufklärung betreiben und unser Engagement in den Gemeinden verstärken. Die Verantwortung liegt bei allen: den Gemeinden, den Behörden, den medizinischen und humanitären Organisationen und den Finanzpartner*innen."

Image
Dr. Maman Karsou posiert vor einem Auto
Unser Notfallkoordinator in Niger: Dr. Maman Karsou
© Mario Fawaz/MSF

Wenige Monate nach seinem Medizinstudium im Jahr 2008 schloss sich Dr. Maman Karsou unserem medizinischen Team in seiner Heimatstadt Magaria, in der Region Zinder im Niger, an. Im Jahr 2016 wurde er Teil unserer internationalen Teams in Borno, Nigeria, in der Demokratischen Republik Kongo, Burkina Faso und Kamerun. Vor Kurzem beendete er seinen jüngsten Einsatz als verantwortlicher Notfallkoordinator für die Impfkampagne in Niger, die von März bis Ende Juni 2021 dauerte.

In dreieinhalb Monaten hat Ärzte ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium in Niamey und in Magaria mehr als 600.000 Kinder gegen Masern und Meningitis geimpft. In Niamey haben wir mehr als 163.000 Kinder gegen Meningitis und über 174.000 gegen Masern geimpft. In Magaria haben unsere Teams 349.000 Kinder gegen Meningitis geimpft. 

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit vielen Jahren mit dem Gesundheitsministerium zusammen, um auf Epidemien im Niger zu reagieren. Seit Anfang des Jahres haben unsere Teams bei der Bekämpfung der Masern- und Meningitis-Epidemien in den Regionen Dosso, Tahoua, Agadez, Tillabéry, Diffa, Zinder und Niamey unterstützt.

Unsere Hilfe in Niger

Erfahren Sie mehr über unsere Aktivitäten in Niger.

Drehkreuz Sahelzone

Die Menschen in der Sahelzone leiden unter einer schweren humanitären Krise.