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Griechenland

"Wir sind bestürzt über die Reaktion von Ursula von der Leyen"

Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln Lesbos und Samos haben Ärzte ohne Grenzen in den vergangenen Tagen von Angriffen und Bedrohungen berichtet. Sie gaben an, in ihren Schlauchbooten auf dem Meer unter den Augen der griechischen Küstenwache angegriffen oder von dieser selbst bedroht worden zu sein. Ärzte ohne Grenzen protestiert gegen eine Politik der Grenzschließung um jeden Preis und gegen die Unterstützung der Aussetzung des Asylrechts durch die EU und ihre Mitgliedstaaten. Die Organisation musste beide Kliniken auf Lesbos in der vergangenen Woche für zwei Tage schließen, weil NGO-Mitarbeiter angegriffen und bedroht worden waren, und arbeitet nun mit einem reduzierten Team.

„Wir sind bestürzt, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das rigorose Vorgehen der griechischen Regierung gegen Schutzsuchende und das Aussetzen fundamentaler Grundrechte in ihrer ersten Reaktion ohne Einschränkung unterstützt hat“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. „Dass sie Griechenland als Schild Europas preist und fordert, die Stellung zu halten, ist besonders verstörend. Diese Sprache suggeriert, die Schutz suchenden Menschen an der Grenze seien eine Bedrohung. Aus unseren Projekten in Griechenland wissen wir, dass unter den Schutzsuchenden zahlreiche Menschen sind, die schwere Gewalt durchgemacht haben, die medizinische Betreuung und Schutz benötigen. Gerade für eine Ärztin wie Frau Dr. von der Leyen müssten die Menschen und ihre Grundbedürfnisse im Mittelpunkt stehen.“

„In der vergangenen Woche ging es der griechischen Regierung und den führenden Politikern Europas eher um Grenzschutz denn um Menschenleben“, sagt Reem Mussa, Expertin für Flucht und Migration bei Ärzte ohne Grenzen. „Am vergangenen Wochenende berichteten Menschen unserem Team auf Lesbos, dass sie 16 Stunden auf dem Meer festgesessen haben, während sie mehrfach von maskierten Männern angegriffen wurden und diese sich an ihrem Boot zu schaffen machten. Mitarbeitende der Küstenwache hätten einfach zugeschaut. Auf Samos trafen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen Menschen, die von ihren Familien getrennt worden waren und von Einschüchterungen und Bedrohungen durch die griechische Küstenwache berichteten. Ein Mitarbeiter habe mit einer Pistole auf ein Boot voller Kinder, Frauen und Männer gezielt. Diese Berichte sind extrem besorgniserregend. Dass EU-Politiker zu solchen Berichten schweigen, macht sprachlos. Es müssen dringend Maßnahmen gegen die Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten getroffen werden.“

Auf Lesbos und Samos war es in den vergangenen Tagen zu einer Serie von Gewalt gegen humanitäre Helfer und Freiwillige gekommen. In den ersten drei Februarwochen wurden auch drei Mal Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos verbal bedroht, einmal traten Angreifer mit ihren Füßen gegen das Auto, in dem sich der Mitarbeiter befand. 

„Wir sind sehr besorgt über die gewaltsamen Übergriffe“, sagt Marco Sandrone, Projektleiter von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos. „Viele Organisationen mussten ihre Hilfe einschränken oder die Insel verlassen. Wir finden uns in einer Situation wieder, in der wir um einen sicheren Zugang zu den Asylsuchenden verhandeln müssen, um Hilfe zu leisten. Die Unterbrechung unserer Hilfe bedeutet, dass Kinder in Moria noch weniger medizinische Hilfe erhalten. Patienten unserer psychologischen Klinik und Patienten mit chronischen Erkrankungen sind davon bedroht, keine Medikamente mehr zu bekommen. Das setzt schutzbedürftige Menschen weiteren Risiken aus.“

Die EU-Lager auf den griechischen Inseln sind mit mehr als 42.000 Asylsuchenden hoffnungslos überbelegt. Im Lager Moria auf Lesbos leben fast 20.000 Menschen in einer Einrichtung, die für 2.840 ausgelegt ist. Das Lager Vathy auf Samos ist sogar zwölffach überbelegt. Fast 8.000 Menschen leben in einer Einrichtung für 650 Menschen. In den vergangenen Monaten ist es auf den Inseln zu drei größeren Bränden gekommen. Acht Menschen sind auch in Folge der desaströsen Bedingungen gestorben, darunter drei Minderjährige auf Lesbos.

Ärzte ohne Grenzen betreibt auf Lesbos eine Kinderklinik außerhalb von Moria und eine psychologische Klinik für Überlebende schwerer Gewalt in der Inselhauptstadt Mytilini. Auch auf Samos hat die Organisation eine Klinik. Im Lager Vathy versorgt die Organisation die Bewohner außerdem mit 50.000 Liter Trinkwasser täglich und hat Toiletten aufgebaut.
 

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Stefan Dold
- Pressestelle