Direkt zum Inhalt
Libyen

Internierungslager durch Luftangriff getroffen

Unser Landeskoordinator Sam Turner appelliert an die internationale Gemeinschaft, Evakuierungen von Geflüchteten und Migranten aus Libyen zu ermöglichen.

Tripolis, 9. Mai 2019. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde in der libyschen Hauptstadt Tripolis das Gelände eines Internierungslagers durch einen Luftangriff getroffen. In dem Lager werden etwa 600 Flüchtlinge und Migranten willkürlich festgehalten. Granatsplitter schlugen durch das Dach eines Gebäudes im Frauenbereichs des Lagers Tadschura und trafen beinahe ein Kleinkind. Ärzte ohne Grenzen fordert von der internationalen Gemeinschaft, die mehr als 3.000 nahe des Kampfgebiets eingesperrten Menschen sofort aus Libyen herauszuholen. „Wie viele Leben müssen noch in Gefahr geraten, bis diese gefährdeten Menschen in Sicherheit gebracht werden?“, fragt Landeskoordinator Sam Turner.

Teams von Ärzte ohne Grenzen waren am Mittwoch vor Ort und leisteten den Frauen und Kindern psychologische Hilfe. Die Gefangenen haben große Angst vor weiteren Angriffen und können nicht mehr schlafen. Etwa 80 Meter von der Einschlagstelle entfernt waren zum Zeitpunkt des Angriffs die Frauen des Lagers gefangen.
„Mehr als 3.000 Flüchtlinge und Migranten werden in Internierungslagern in und um Tripolis festgehalten“, berichtet Turner in einer Videobotschaft aus der libyschen Hauptstadt. „Diese Internierungslager befanden sich zeitweise direkt an der Frontlinie. Wir sind außerordentlich besorgt, weil die Gefangenen nicht fliehen können. Die Menschen in den Internierungslagern hören die Granaten und die Raketen, die um sie herum in der Umgebung einschlagen. Wir hören immer erschreckendere Berichte, dass Menschen so verzweifelt sind, dass sie daran denken, sich das Leben zu nehmen. Wir hören sogar, dass es schon Versuche gegeben habe. Diese Menschen flehen uns an, sie betteln darum, dass ihnen jemand hilft. Aber wir können nur wenig für sie tun.“

Ein junger Mann aus Eritrea, der im Internierungslager Abu Salim nur wenige Kilometer von der Front entfernt festsitzt, berichtet, dass vom Lärm der Kämpfe manchmal die Wände im Lager vibrieren. „Ich glaube, heute Morgen haben sie in dieser Gegend geschossen, es gab ein besonders lautes Geräusch“, sagt er in einem Videointerview vom Mittwoch. „Wir sind hier gefangen und vielleicht werfen sie eines Tages eine Bombe auf uns. Hier sind Kinder. Wir haben oft zu wenig zu essen. Ich bitte die ganze Welt, die Menschenrechtsorganisationen, Ärzte ohne Grenzen, das UNHCR, die EU, die Afrikanische Union, alle bitte ich, uns aus dieser Lage zu befreien. Wir sind gefangen, wir leiden, wir sind diesem Krieg ausgeliefert. Das ist eine Botschaft aller 475 Geflüchteten hier: Bitte helft uns!“

Mehrere Internierungslager befinden sich in der Nähe von Militärgelände, was die Gefahr, dass sie getroffen werden, noch erhöht. Lediglich 800 Meter vom Internierungslager Abu Salim entfernt schlug bereits ein Geschoss ein, ebenso 300 Meter vom Lager Sabaa. Zivilisten dürfen nicht in der Nähe von militärischen Einrichtungen gefangen gehalten werden.

„Die Bedingungen in den Internierungslagern, etwa die Versorgung mit Lebensmitteln, haben sich mit jeder Woche des Konflikts verschlechtert“, so Turner weiter. „In einigen Lagern kommt das Essen der Regierung nicht mehr an.“ Ärzte ohne Grenzen leistet weiterhin medizinische Hilfe in den Internierungslagern in Tripolis, bringt schwer erkrankte Menschen in Kliniken und verteilt nach Möglichkeit Lebensmittel oder stellt Wasser zur Verfügung. Zudem haben die Teams Tuberkulosemedikamente und weitere wichtige Medizin für mehrere Wochen gebracht.

Laut der Internationalen Organisation für Migration werden derzeit mehr als 3.000 Flüchtlinge und Migranten in Internierungslagern nahe der Kampfzone in und um Tripolis festgehalten. Im ganzen Land sind es mehr als 6.500. Seit Ausbruch der Kämpfe Anfang April wurden 455 Menschen aus Libyen evakuiert, gleichzeitig wurden aber zwischen 300 und 400 Bootsflüchtlinge vom Mittelmeer in das Land zurückgebracht – die meisten davon durch die von der EU unterstützte libysche Küstenwache – und in den Internierungslagern eingesperrt.

„Die internationale Gemeinschaft ist massiv für die Situation in Libyen verantwortlich. Sie muss dringend dafür sorgen, dass die Flüchtlinge und Migranten durch humanitäre Evakuierungsmaßnahmen aus Libyen herausgeholt werden“, so Turner. „Die Menschen müssen den Internierungslagern und den Kämpfen sofort entkommen.“

Durch die Kämpfe in Tripolis sind im vergangenen Monat laut der Weltgesundheitsorganisation mehr als 440 Menschen gestorben, mehr als 2.100 wurden verletzt. Etwa 60.000 Bewohner sind aus ihren Häusern geflohen. Ärzte ohne Grenzen hat in einigen der Notunterkünften Hygieneartikel verteilt und an drei Krankenhäuser medizinisches Material zur Behandlung Verletzter geliefert.

Für weitere Auskünfte sprechen Sie uns an

Image
Stefan Dold
- Pressestelle