Noma muss mehr Aufmerksamkeit erhalten
Sie fragen sich, was Noma ist? Dann geht es Ihnen wie mir, als ich erfuhr, wohin mich mein zweiter Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen führen sollte: Ins Noma-Krankenhaus in Sokoto im Nordwesten Nigerias.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur vage etwas von Noma gehört. Um was für eine Krankheit es sich hierbei handelt und was für Auswirkungen sie für die Betroffenen hat, wusste ich nicht. Inzwischen habe ich neun Monate im Noma-Krankenhaus in Sokoto gearbeitet und dort viele beeindruckende Menschen und ihre Schicksale kennengelernt. Und ich bin der Überzeugung: Noma braucht mehr Aufmerksamkeit.
Als Krankenschwester und Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen ist mein Ziel: Noma muss auf die Liste der vernachlässigten Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen werden. Damit würde Noma die nötige Aufmerksamkeit erhalten und mehr Geld in die Erforschung dieser viel zu unbekannten Krankheit fließen.
Aber der Reihe nach.
Was ist Noma?
Noma ist eine bakterielle Infektion des Mundes und Gesichts, an der jährlich etwa 140.000 Menschen erkranken. Die meisten Betroffenen leben in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Asien gibt es immer wieder Fälle. Bleiben sie unbehandelt, sterben mehr als 90 Prozent der Erkrankten.
Wenn Noma rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wird, ist die Krankheit sehr gut heilbar. Doch leider wird sie oft zu spät erkannt, und es bleiben lebenseinschränkende Narben zurück, die die Fähigkeit zu essen oder zu sprechen einschränken.
Das Fatale an Noma aber ist, dass erste Symptome wie Zahnfleischbluten oder Entzündungen im Mundraum erst einmal harmlos erscheinen.
Was mich besonders betroffen gemacht hat: An Noma erkranken vor allem Kinder zwischen zwei und sechs Jahren.
Die genauen Ursachen der Krankheit sind noch nicht bekannt, da noch nicht ausreichend erforscht. Was wir wissen, ist, dass die Betroffenen oft in extremer Armut leben, oft stark mangelernährt sind und aufgrund anderer Erkrankungen wie Masern oder Tuberkulose oft ein geschwächtes Immunsystem haben. Daher ist davon auszugehen, dass diese Faktoren die Erkrankung fördern.
Ein Ort, den es so bisher nur einmal gibt
Das Noma-Krankenhaus in Sokoto ist bisher das einzige in Nigeria, das sich auf Noma spezialisiert hat. Die Patient*innen erhalten hier eine tägliche Wundversorgung sowie Antibiotika. Zusätzlich bekommen sie therapeutische Nahrung, spezielle Physiotherapie und werden umfassend medizinisch versorgt, unter anderem mit Impfungen. Menschen, die Noma überlebt haben, bekommen bei uns in Sokoto außerdem auch die Möglichkeit, sich rekonstruktiven chirurgischen Eingriffen zu unterziehen. Diese stellen die Funktionsfähigkeit ihres Gesichtes wieder her, also Nasen, Münder und Kiefer.
Die familiäre und ruhige Atmosphäre im Noma-Krankenhaus fiel mir gleich bei meiner Ankunft auf.
Es ist ein Ort, an dem jeder akzeptiert wird und oft erleben die Betroffenen hier zum ersten Mal, dass sie nicht die einzigen sind, die mit den Folgen von Noma leben müssen.
Der Platz vor dem kleinen Krankenhaus ist geschützt von Bäumen und bietet den Kindern viele Möglichkeiten sich auszutoben. Neben der bunten Rutsche ist die Schaukel sehr beliebt und quietscht bei jedem Schwung. Auch die Stationen des Krankenhauses sind hell und freundlich.
Freude und Unterstützung auf einem langen Weg der Heilung
Wenn die Kinder draußen vor dem Krankenhaus spielen, sind ihre Narben fast vergessen. Ihre Mütter sitzen auf dem Platz beieinander - sie teilen ihre Schicksale miteinander: Ihre Kinder gehören zu den glücklichen 10 Prozent derjenigen, die Noma überlebt haben – mit den Auswirkungen der Krankheit zu leben zu lernen, kann ein weiter Weg sein.
Noma-Überlebende leiden meist auch an den psychischen Folgen der Krankheit, denn sie werden häufig ausgegrenzt und stigmatisiert. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit in Sokoto ist darum eine umfassende psychosoziale Betreuung. Sie soll den Betroffenen helfen zu lernen, mit der Erkrankung umzugehen und ihre Beziehungen zu ihren Familien fördern und verbessern.
Er winkte mir lachend zu und ging selbstbewusst nach Hause
Ich war jedes Mal aufs Neue beeindruckt, wie stark und mutig die Patient*innen mit ihrer Erkrankung umgehen und dass sie ihre Lebensfreude nicht verlieren. Ein besonderer Moment war zum Beispiel, als mir ein fast 50-jähriger Mann nach seiner chirurgischen Behandlung lachend zuwinkte und selbstbewusst nach Hause ging.
Er hatte sich bis dahin sein Leben lang unter großen Hüten versteckt. Da wurde mir bewusst, wie wertvoll die Arbeit mit Noma-Überlebenden ist. Sie wird erst ein Ende haben, wenn Noma nicht mehr existiert.
Ein kleines Wunder: Mohammad
Besonders berührend für mich waren die vielen Begegnungen mit den Patient*innen und ihren Angehörigen. Obwohl ich ihre Sprache nicht spreche, haben mich oft kleine Gesten und die Dankbarkeit im Gesicht der Angehörigen sehr berührt.
Der kleine Mohammad kam nach einer fast zweitägigen Reise mit seiner Großmutter zu uns nach Sokoto. Seine Mutter war verstorben. Er war sehr geschwächt und wir hatten nur wenig Hoffnung für ihn. Doch im Laufe weniger Wochen hat er sich erholt. Es glich einem kleinen Wunder, als er nach fast viermonatiger Behandlung entlassen werden konnte. Sein schüchternes Lächeln, das zaghafte Winken bei seiner Entlassung und die Freude über seine Genesung werde ich immer in Erinnerung behalten.
Noma muss besser erforscht werden!
Eine gute Ernährung, angemessene Mundhygiene und der Zugang zu Gesundheitsversorgung einschließlich aller empfohlenen Impfungen im Kindesalter – dies sind einfache präventive Maßnahmen, die helfen können, Noma zu vermeiden.
Doch die Krankheit ist insgesamt noch viel zu wenig erforscht, so dass sie nach wie vor oft lebenslanges Leid und den Tod von Tausenden Menschen bedeutet. Darum braucht Noma mehr internationale Aufmerksamkeit.
Dies wäre möglich, wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Noma auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten aufnimmt. Dadurch würde mehr Forschung möglich und Fördergelder könnten gezielt eingesetzt werden, um die Ursachen von Noma zu ergründen und bessere Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten zu finden.
Auch die deutsche Bundesregierung könnte und sollte sich im Rahmen der WHO hierfür einsetzen. Wir von Ärzte ohne Grenzen rufen Sie eindringlich dazu auf: Bitte sorgen Sie mit dafür, dass diese Krankheit bald keine Narben mehr auf den Gesichtern von Menschen hinterlässt.