Direkt zum Inhalt

Globale Gesundheit geht uns alle an!

Image
Melissa Scharwey

Melissa Scharwey

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen und bin Expertin für den Zugang zu Medikamenten und globale Gesundheitspolitik.

Gesund zu sein ist für mich eine Grundvoraussetzung, um ein erfülltes Leben führen und überhaupt an Dinge wie soziale, politische oder ökologische Teilnahme denken zu können. Aber, nicht allen ist dieses Privileg gegeben.

Einerseits ist unsere Gesundheit also ein sehr persönliches Thema, andererseits wird sie stark von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst, die wiederum durch wirtschaftliche und politische Entscheidungen entstehen. Dieser Zusammenhang zwischen Politik und Gesundheit existiert in Ländern des Globalen Nordens und Südens gleichermaßen. Was sich allerdings unterscheidet, ist die Abhängigkeit der Länder im Globalen Süden von denen des Nordens.  

Machtgefälle 

Je mehr ich mich mit dem Thema der globalen Gesundheit beschäftige, desto deutlicher erkenne ich die vielen Gegensätze und Fehler in diesem zugegebenermaßen komplexen System.  

Einflussreiche Länder wie Deutschland und die USA können in Foren wie der Weltgesundheits- oder Welthandelsorganisation (WHO, WTO) derartig mächtige Positionen einnehmen, dass sie bei Entscheidungen, die globale Auswirkungen haben, ihr nationales Interesse priorisieren können.  

Die Finanzierung von globalen Gesundheitsprojekten und Gesundheitsforschung etwa hängt unmittelbar von diesen Entscheidungen ab. Traurige Tatsache ist: Das globale Gesundheitssystem orientiert sich an Profiten und nicht an Gesundheitsbedürfnissen - nicht an denen der Menschen im Globalen Norden und noch viel weniger an denen der Menschen im Globalen Süden.  

International statt national 

Wir bei Ärzte ohne Grenzen arbeiten in humanitären Krisen weltweit und bekommen dort die Auswirkungen von Entscheidungen, die andernorts getroffen werden, direkt zu spüren - vielmehr wir und unsere Patient*innen. Nach Schätzung der WHO haben weltweit zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten für Krankheiten wie Malaria, Diabetes, HIV/Aids, Tuberkulose oder Vergiftungen durch Schlangenbisse, um nur einige zu nennen. 

In der globalen Krise der Covid-19-Pandemie werden viele der Fehler im globalen Gesundheitssystem schmerzhaft überdeutlich. Nicht nur haben sich die Länder des Globalen Nordens durch Vorabverträge so viel dieser Impfstoffe gesichert, dass im Globalen Süden bis dato nicht einmal der Großteil vulnerabler Gruppen oder das Gesundheitspersonal geimpft sind. Während in Deutschland fast 63 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft sind, sind es auf dem afrikanischen Kontinent durchschnittlich weniger als drei Prozent. 

Für mich bedeutet das, dass ich über die bevorstehende Bundestagswahl nicht nur aus nationaler Perspektive nachdenken kann, sondern auch die internationalen Auswirkungen mit einbeziehen muss. 

Denn Globale Gesundheit geht uns letztlich alle etwas an und ist ein wichtiges politisches Thema, in dem Deutschland eine führende Rolle inne hat.  

Chancengleichheit statt Abhängigkeit  

Im Sinne des Menschenrechts auf Gesundheit sollten alle Menschen weltweit bezahlbaren und gerechten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Und die Forschung und Entwicklung sollte sich an den medizinischen Bedürfnissen aller orientieren.  

Gerade die Länder des Globalen Nordens sollten alles daransetzen, diesem Zustand näher zu kommen, denn letztlich sind sie Ursache und Nutznießer des ungerechten Systems.

Andere Länder sollten nicht von unserer Wohltätigkeit abhängig sein, sondern eine faire Chance erhalten etwa Gesundheitsgüter, die sie brauchen, selbst zu produzieren. Dafür braucht es Change, not charity

Finanzierung ja, aber nicht für lau 

Konkret bedeutet das: Es braucht mutige politische Entscheidungen, um Rahmenbedingungen für Gesundheitsforschung zu schaffen, die den dringenden Bedürfnissen von kranken Menschen weltweit gerecht wird und nicht dem kommerziellen Interesse von Pharmafirmen. 

Eine langfristige Lösung wäre, die Kosten für Forschung und Entwicklung von Gesundheitsgütern von den finalen Produktpreisen zu trennen (de-linkage Konzept). Eine Systemänderung also. Um diese zu erreichen, sind verschiedene Schritte nötig. 

Ein erster Schritt, der direkt umgesetzt werden kann ist: Fördergelder an Bedingungen knüpfen.

Das heißt, vertraglich regeln, dass geistige Eigentumsrechte, technische Daten und Know-how von lebensrettenden Medikamenten und anderen Gesundheitsinnovationen mit anderen qualifizierten Herstellern geteilt werden. 

Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass die deutsche Regierung ein wichtiger Geldgeber für nationale und internationale Gesundheitsforschung ist, hätte das enorme positive Auswirkungen auf das globale Gesundheitssystem. 

Mit solchen Transparenz- und Zugangsbedingungen könnten deutsche Universitäten und Pharmafirmen weiterhin forschen, gleichzeitig würde aber sichergestellt, dass die aus öffentlicher Hand finanzierte Innovation auch der Allgemeinheit zugutekommt. 

Gefragt ist: Rückgrat und Solidarität  

Für mich ist die aktuelle Situation nicht nur ein fundamentales Marktversagen, sondern auch ein menschliches und politisches Versagen. Die zukünftige Bundesregierung muss aus diesen Fehlern lernen und alle Maßnahmen ergreifen, damit in der Pandemie und darüber hinaus Menschenleben weltweit schnellstmöglich geschützt werden. Lösungsansätze und Initiativen gibt es genug.  

Was jetzt noch fehlt, ist der Mut, solidarische Entscheidungen zu treffen, die Leben retten.  

Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, und auch abseits von Covid-19 sterben Menschen weiterhin an Krankheiten, die behandelbar oder vermeidbar sind. Also handelt endlich!