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Rom: Neues Zentrum für Überlebende von Folter und Gewalt

Ärzte ohne Grenzen eröffnete Anfang April in Rom ein Rehabilitationszentrum für Überlebende von Folter und anderen Formen inhumaner Behandlung. Dort bieten unsere Teams sowohl medizinische und psychologische Hilfe, als auch rechtliche Beratung an. Das Angebot richtet sich an Migrantinnen und Migranten, Geflüchtete und Asylsuchende – unabhängig von ihrem Herkunftsort oder ihrem derzeitigen Status.

Das neue Projekt zählt zu einer Reihe von Aktivitäten, die Ärzte ohne Grenzen seit Oktober 2015 gemeinsam mit zwei Organisationen in Rom betreibt: mit der italienischen Vereinigung „Ärzte gegen Folter“ (Medici Contro la Tortura) und der „Vereinigung für Rechtsstudien zum Thema Immigration“ (Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione).

Bereits 50 Menschen aus 18 Ländern behandelt

Bisher haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen im Zentrum 50 Menschen aus 18 verschiedenen Ländern behandelt. Die meisten stammen aus der westlichen Sub-Sahara Region, dem Horn von Afrika, Ägypten und Südasien. Sie alle waren entweder in ihren Heimatländern oder während der gefährlichen Reise, die sie auf sich nehmen mussten, um Europa zu erreichen, Gewalt ausgesetzt.

„Bei der Versorgung von Migranten und Geflüchteten begegnen wir tragischen Geschichten von Gewalt und Missbrauch, die spezielle Aufmerksamkeit und Behandlung benötigen“, berichtet unser Projektkoordinator Gianfranco De Maio. „Hier ist es uns möglich, enge Verbindungen mit Menschen aufzubauen und die tiefgreifenden Gefühle zu bearbeiten, mit denen sie zu kämpfen haben – und all das bei vollem Schutz ihrer Privatsphäre.“

Vertrauen aufbauen und Zuversicht ermöglichen

Bei der Gestaltung des Zentrums wurde besonders darauf geachtet, dass die Menschen keiner Re-Traumatisierung ausgesetzt werden. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn Räumlichkeiten Erinnerungen an diejenigen Orte wecken, an denen sie gefoltert wurden. „Das Zentrum wurde so entworfen, dass es möglich ist, gegenseitiges Vertrauen zwischen Patienten und Betreuern herzustellen und ein Gefühl von Zuversicht zu vermitteln“, so De Maio. „Dass hier ist ein Raum, an dem die Menschen mit Wut, Angst, Misstrauen und Resignation umgehen können – denn das alles sind direkte Folgen der Folter, der sie ausgesetzt waren.“

Ärzte ohne Grenzen bietet für die Rehabilitation Leistungen auf Basis eines interdisziplinären Ansatzes an, umgesetzt von einem mehrköpfigen Team bestehend aus einem Arzt, einem Psychiater, einem Forensiker, einem Physiotherapeuten, zwei Sozialbetreuern, zwei Rechtsexperten und zwölf kulturellen Mediatoren und Übersetzern.

80 Prozent der Ankommenden waren Missbrauch oder Gewalt ausgesetzt

Dieses Projekt baut auf Erfahrungen auf, die bereits an anderer Stelle gewonnen wurden. Etwa bei der Unterstützung von Geflüchteten, die in Sizilien angekommen und in den dortigen Aufnahmezentren untergebracht worden waren. Rund 80 Prozent der Menschen, die Ärzte ohne Grenzen versorgte, gaben an, während ihrer Reise nach Europa Missbrauch und Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein – üblicherweise in Libyen, wo die meisten von ihnen mehrere Monate lang festsaßen. Aus diesem Grund werden im Rehabilitationszentrum in Rom nicht nur Folteropfer behandelt, sondern auch Menschen, die für längere Zeit eingesperrt wurden, schlecht behandelt wurden oder in ihrem Heimatland oder auf dem Weg nach Europa Gewalt begegnet sind.

„Folter und unmenschliche Behandlung sind ein weiterverbreitetes Phänomen, und wir machen die Versorgung in diesem Bereich zu einem Kernaspekt unserer Migrationsprojekte“, so Tommaso Fabbri, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Italien. „Ohne sichere Fluchtrouten nach Europa sind viele Menschen besonders dem Risiko von Missbrauch und Gewalt ausgesetzt, die langfristig schwere medizinische und psychologische Folgen haben können. Durch unsere Arbeit konnten wir Expertise bei der Arbeit mit Folteropfern entwickeln. Dieses Projekt wurde gestartet, um dem Leid dieser Menschen eine angemessene Versorgung gegenüberzustellen und ihnen eine Chance auf Rehabilitation anzubieten.“

Ärzte ohne Grenzen war erstmals im Jahr 2002 in Italien im Einsatz, besonders in den Ankunftsorten entlang der sizilianischen Küste sowie in Aufnahmezentren für MigrantInnen und Asylsuchende. Seit 2015 bestehen die Hilfsaktivitäten der Organisation hauptsächlich in der Bereitstellung von medizinischer und psychologischer Unterstützung für Menschen, die nach langen und gefährlichen Reisen im Land ankommen und dringend medizinische oder psychologische Hilfe benötigen. Für das Jahr 2016 stehen die Weiterführung und Stärkung der psychosozialen Hilfe für MigrantInnen im Fokus, sowohl in Rom als auch in Sizilien – im Rahmen von bereits laufenden oder neueröffneten Projekten.