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„Es ist das totale Elend“ 

Die Sicherheitslage und humanitäre Notsituation in der Zentralafrikanischen Republik verschärfen sich zunehmend. Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen der Koalition und Regierungstruppen, die von ausländischen Truppen unterstützt werden, eskalieren. Im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen vom 27. Dezember 2020 leidet das Land, das acht Jahre Bürgerkrieg hinter sich hat, jetzt unter einem erneuten Ausbruch der Gewalt. 

Knapp 150 Kilometer von der Grenze zu Kamerun entfernt, im Westen der Zentralafrikanischen Republik, leben die Einwohner*innen der Stadt Bouar seit Ende Dezember in Angst. Ihre Stadt ist einer der Schauplätze der jüngsten Welle der Gewalt im Land. Besonders kritisch ist die Situation für Tausende Menschen, die vor den Konflikten aus ihren Häusern geflohen sind und in verschiedenen religiösen Stätten  Zuflucht gesucht haben. 

Strategische Relevanz vor Schutz von Zivilist*innen 

Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll”, sagt Rolande, eine junge Mutter. “Die Rebellen haben ihre Basis in meinem Viertel eingerichtet. Es ist sehr schwierig hier mit meinem Baby zu leben, es ist erst einen Monat alt. Wir schlafen draußen in der Kälte ohne Moskitonetz. Mein Kind ist krank, aber ich kann es wegen der Unsicherheit nicht ins Krankenhaus bringen und habe kein Geld, um die Behandlung zu bezahlen." 

Da die Stadt an einer wichtigen Versorgungsstraße zur Hauptstadt Bangui liegt, ist die Kontrolle von Bouar für die Konfliktparteien von großer strategischer Bedeutung. Am 9. Januar 2021 griffen bewaffnete Akteure, die sich zur neuen Rebellenkoalition „Coalition des Patriotes pour le Changement" (Koalition der Patrioten für Wandel) zusammengeschlossen haben, Stellungen der zentralafrikanischen Streitkräfte und der Friedensmission der Vereinten Nationen an. Die Zusammenstöße waren heftig und fanden in dicht besiedelten Gebieten statt. Am 17. Januar brachen erneut heftige Kämpfe aus.  

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Vertreibung in der Zentralafrikanischen Republik
Die Vertriebenen suchen in der ehemaligen Kathedrale Bouars Schutz.
© Vivien Ngalangou/MSF

Weg von der Gewalt – aber wohin? 

Seitdem wurden dort mehr als 8.000 Menschen, darunter viele Familien und kleine Kinder, gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Fast die Hälfte der Vertriebenen in Bouar lebt derzeit in der ehemaligen Kathedrale der Stadt, dem größten der sechs behelfsmäßigen Lager für Vertriebene, in dem wir eine Nothilfeaktion gestartet haben. 

„Es ist das totale Elend. Die Lebensbedingungen in den Lagern, in denen die Binnenvertriebenen untergebracht sind, sind schrecklich, vor allem, weil es keinen ausreichenden Zugang zu Wasser gibt", sagt Tristan Le Lonquer, unser Einsatzleiter in der Zentralafrikanischen Republik.  

Wir richten Wasserstellen ein, bauen Duschen und Latrinen und installieren mobile Kliniken, um den Vertriebenen eine medizinische Grundversorgung zu bieten. Seit Beginn des Einsatzes haben unsere Teams 20.000 Liter Wasser pro Tag verteilt, 672 Konsultationen in allen Vertriebenengebieten durchgeführt und sieben Menschen, die weitere medizinische Versorgung benötigen, an Krankenhäuser überwiesen. Außerdem haben wir Grundversorgungspakete an 250 Familien verteilt. 

Wir unterstützen auch weiterhin medizinische Einrichtungen vor Ort, insbesondere im Bereich der Chirurgie des Krankenhauses von Bouar, wo wir nach den heftigen Kämpfen vom 9. und 17. Januar 2021 in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium neun Kriegsverletzte behandelt haben. 

Unsichere Lebensumstände bieten größeren Raum für Infektionskrankheiten 

Im ganzen Land wurden Zehntausende Menschen durch die jüngste Gewalt vertrieben. Im Südosten flohen Zehntausende während einer Offensive auf die Stadt Bangassou am 3. Januar und überquerten den Mbomou-Fluss, um in dem Dorf Ndu in der Demokratischen Republik Kongo Zuflucht zu finden. Wir versorgen die Geflüchteten dort medizinisch und mit Grundlegendem.   

Unser Projektkoordinator, Marco Doneda sagt: „Die Zahl der medizinischen Konsultationen ist explodiert, im Durchschnitt werden jeden Tag mehr als 110 Patient*innen behandelt, vor allem Frauen und Kinder, die an Malaria, Durchfall und Atemwegsinfektionen leiden. Angesichts des Bedarfs werden wir unsere medizinischen Kapazitäten im Gesundheitszentrum in den kommenden Tagen weiter ausbauen, außerdem werden wir versuchen möglichen Epidemien vorzubeugen, indem wir die Routineimpfungen ausweiten." 

Die Menschen, die vor den Kämpfen geflohen sind, mussten sich entscheiden, ob sie versuchen, der Gewalt zu entkommen oder ihr Eigentum und ihre Felder schützen. Diejenigen, die geblieben sind, werden oft von bewaffneten Gruppen entführt, ausgeraubt und erpresst. Auch humanitäre Akteure und Infrastrukturen bleiben von dieser Gewalt nicht verschont. Viele Hilfsorganisationen mussten ihre Aktivitäten reduzieren oder aussetzen, während gleichzeitig der Bedarf steigt.   

Helfen in einer Krise, die sich stetig verschlimmert 

Auf der zentralafrikanischen Seite des Mbomou-Flusses setzen wir unsere medizinische Arbeit im Regionalkrankenhaus Bangassou fort, das wir seit 2014 unterstützen. Am 3. Januar, dem Tag der Offensive, suchten rund 800 Menschen - die meisten von ihnen Frauen und Kinder - Zuflucht auf dem Krankenhausgelände, wo wir ihnen eine Unterkunft, sauberes Wasser und medizinische Versorgung bieten.   

„Obwohl sich die Sicherheitslage in Bangassou momentan beruhigt hat, sind die Menschen immer noch verängstigt und rund 1.600 Menschen verbringen die Nacht im Krankenhaus, während wir sprechen", sagt Marco Doneda. 

In den vergangenen vier Wochen haben wir im ganzen Land Verwundete behandelt und uns um die gesundheitlichen Bedürfnisse der Menschen gekümmert. Das Land ist von acht Jahren Bürgerkrieg bereits schwer gezeichnet und die Menschen hier leben in einer chronischen medizinischen Krisensituation - die aktuelle Unsicherheit verschlimmert ihre Situation noch zusätzlich.