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Ein Jahr nach dem EU-Türkei-Deal: Verheerende Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Flüchtenden

Vor einem Jahr wurde die Balkanroute offiziell geschlossen. Für Tausende Menschen war sie die einzige Hoffnung auf Schutz und ein sicheres Leben in Europa. Seit dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals am 20. März 2016 sitzen Asylsuchende und Migranten unter teilweise unmenschlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln oder dem Balkan fest. Sie haben keine andere Wahl, als dort zu verharren, und dabei großer Gefahr und Gewalt ausgesetzt zu sein oder ihr Leben zu riskieren, um Europa dennoch zu erreichen.

Während die europäischen Regierungen nicht müde werden, das Abkommens als Erfolg zu bezeichnen, zeigt unser Bericht „One Year on from the EU-Turkey Deal: Challenging the EU“ die verheerenden Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit dieser Menschen. „Die EU-Verantwortlichen behaupten immer, Menschen zu schützen, indem sie Grenzen sichern. Das ist zynisch. Unsere Teams in Griechenland, auf dem Balkan, in Libyen und auf dem Mittelmeer erleben täglich, wie Menschen unter dieser restriktiven Politik leiden“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.

Psychische Probleme nehmen rapide zu

Unsere Mitarbeiter auf den Inseln Samos und Lesbos kümmern sich um immer mehr Patienten mit Angstsymptomen und Depressionen. Laut unserem Bericht hat sich der Anteil der Patienten mit posttraumatischem Stresssyndrom verdreifacht. „Der EU-Türkei-Deal beeinträchtigt die Gesundheit unserer Patienten direkt“, sagt Jayne Grimes, Psychologin von Ärzte ohne Grenzen auf Samos. „Sie sind vor extremer Gewalt, Folter und Krieg geflohen und haben eine äußerst gefährliche Flucht überlebt. Jetzt werden ihre Ängste und Depressionen verschärft durch die schlechten Lebensbedingungen und dadurch, dass sie keine Informationen über ihren rechtlichen Status erhalten. Sie verlieren jegliche Hoffnung auf eine sichere, bessere Zukunft.“

Überleben in provisorischen und unsicheren Lagern

Auf den griechischen Inseln müssen Männer, Frauen und Kinder unter unwürdigen Bedingungen leben. Bis zu einem Jahr waren sie in provisorischen, nicht winterfesten Unterkünften untergebracht. Oft fehlt ein Zugang zu Heizung und warmem Wasser. Zudem ist die Sicherheitslage in den Lagern beunruhigend. Besonders für schutzbedürftige Menschen ist dies kein angemessener Ort. Unsere Psychologen berichten, dass viele Patienten sich nicht sicher fühlen. Ein syrischer Mann beschreibt sein Leben auf Samos: „Das Leben im Lager hier ist wie einem Gefängnis, wie eine Art Suizid. Ich habe die ganze Zeit Angst. Nachts, wenn das Wetter schlecht ist, habe ich Angst, dass mein Zelt wegfliegt. Die letzten drei Nächte habe ich überhaupt nicht geschlafen. […] Ich bin beunruhigt, müde und verliere alle Hoffnung.“

Dramatische Zunahme von Gewalt an den Grenzen

Auf dem Weg nach Nordeuropa sind Flüchtende zunehmend schlimmer Gewalt ausgesetzt. Sie fallen in die Hände von Schmugglern und werden von Sicherheitskräften gewaltsam von Grenzen ferngehalten. Seit Mitte Dezember 2016 hat unser Team in Belgrad einen starken Anstieg von absichtlich zugefügten Verletzungen bei Menschen festgestellt, die versucht hatten, die ungarische Grenze zu überqueren. Sie berichten, von ungarischen Grenzpolizisten geschlagen oder misshandelt worden zu sein.

Als Reaktion auf den EU-Türkei-Deal haben wir im Juni 2016 entschieden, keine Gelder von der EU und ihren Mitgliedsstaaten mehr anzunehmen. Wir betonen, dass das Recht auf Asyl respektiert werden muss und fordern die EU auf, sichere und legale Fluchtwege durch Umsiedlung, humanitäre Visa und Familienzusammenführung zu schaffen.

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