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Bangladesch: Psychologische Hilfe - von Tür zu Tür Vertrauen aufbauen

Fast eine Million Rohingya flohen aus ihrer Heimat Myanmar vor massiver Gewalt nach Bangladesch. Wir bieten umfassende psychologische Hilfe. Den Menschen Mut für die Behandlung zu machen, die kaum aus eigener Kraft zu uns kommen, sei der erste wichtige Schritt, meint Andrea Braum. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und erzählt davon, wie sie Patient*innen mit Angsterkrankungen oder Psychosen in einem Land unterstützte, in dem es nur rund 250 Psychiater*innen für mehr als 165 Millionen Einwohner*innen gibt.

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Porträtfoto von Andrea Braum
Dr. Andrea Braum hat seit Sommer 2020 fast eineinhalb Jahre lang in Bangladesch gearbeitet, wo sie in zwei ambulanten Kliniken für psychische Gesundheit tätig war. Zuvor war sie in Äthiopien und Simbabwe im Einsatz.

Mit welchen Erkrankungen kamen die Menschen in unsere Kliniken?

Ich habe im Jamtoli- und im Hakimpara-Camp im Süden des Landes gearbeitet, wo Zehntausende Rohingya Schutz suchen. Wir behandelten viele Menschen mit Angsterkrankungen, Depressionen und Psychosen – oftmals ausgelöst durch erlittene Traumata und unbewältigte Trauer.

Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit im vorwiegend buddhistischen Myanmar. Sie sind vor furchtbarer Gewalt und Unterdrückung in ihrer Heimat geflohen. Aber auch in Bangladesch ist ihre Situation schwierig: Sie leben äußerst beengt, in der Regenzeit sind die Camps wochenlang überschwemmt, die Zukunft ist ungewiss.

Armut und fehlende Privatsphäre verschlimmern die Erkrankung?

Häufig ja, denn die Menschen leben weiterhin in einer traumatischen Situation. Das hemmt auch ihre Selbstheilungskräfte. Wenn ich depressiv bin und es dennoch schaffe, spazieren zu gehen, dann werde ich mich dadurch etwas besser fühlen. Ich erlebe eine Selbstwirksamkeit, die mir hilft, gesund zu werden. In den Camps aber ist das vor allem für Frauen und junge Mädchen so gut wie unmöglich. Ab Beginn der Pubertät dürfen sie aufgrund traditioneller Bräuche ihre Unterkunft nur selten verlassen. Die Isolation ist groß. Auch für Kinder ist es dort schwierig. Es gibt keine Orte, an denen sie unbeschwert toben und spielen können.

Wie können wir den Menschen unter diesen Bedingungen helfen?

Mit psychologischen Einzel- und Gruppentherapien. Das Zuhören und Mitfühlen dabei helfen vielen sehr. Auch einfache Instrumente zur Selbsthilfe, etwa Entspannungstechniken, stabilisieren die Menschen und geben ihnen Kraft. Wenn nötig starten wir eine medikamentöse Therapie. Manche bekamen in unseren Kliniken zum ersten Mal überhaupt die nötigen Medikamente – obwohl sie bereits seit Monaten oder Jahren erkrankt waren. In ganz Bangladesch arbeiten nur rund 250 Psychiater*innen für mehr als 165 Millionen Einwohner*innen.

Die Versorgungslücke ist also riesig?

Ja, deswegen kommen auch Bangladescher*innen zu uns, manche von weit her. Ich erinnere mich etwa an ein jugendliches Mädchen. Die 16-Jährige hatte sich in einer Ecke unseres Raumes zusammengekauert. Sie nässte ein, war nicht ansprechbar. Ihre Familie hatte sich zu Hause nicht anders zu helfen gewusst, als sie festzubinden – aus Angst, dass das Mädchen herumirrt, schreit und um sich schlägt. In ländlichen Gebieten, nicht nur in Bangladesch, ist die Stigmatisierung psychisch Kranker groß, die Angehörigen stehen unter immensem Druck. Sie zu unterstützen, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Die junge Frau bekam von uns hochdosiert Psychopharmaka. Langsam löste sie sich aus ihrer Starre. Sie blickte zu ihrem jüngsten Geschwisterchen, einem Baby, und berührte es. Dann nahm sie auch Kontakt mit dem Rest ihrer Familie auf, und für einen Moment lächelte sie.

Wenn das Stigma groß ist, wie finden die Betroffenen dennoch in unsere Kliniken?

Tatsächlich kommt kaum jemand aus eigener Kraft zu uns, sondern es ist viel aufsuchende psychologische Betreuung nötig. Dafür haben wir 27 Geflüchtete, die selbst in den Camps leben, als gemeindepsychologische Helfer*innen ausgebildet. Tagtäglich gehen sie von Tür zu Tür und bauen so das Vertrauen in unsere Arbeit auf. Sie erklären, wie wir bei psychischen Problemen helfen und suchen die betroffenen Menschen regelmäßig auf. Ihr Engagement ist riesengroß. Das hat mich unfassbar beeindruckt.