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Asylsuchende aus dem Südsudan müssen unter entsetzlichen Umständen ausharren

Tausende Asylsuchende aus dem Südsudan sitzen seit Monaten in einem Aufnahmezentrum in der Region Gambella in Äthiopien fest. Die Lebensumstände sind erschreckend, es fehlt vor allem an Nahrungsmitteln. Wir befürchten, dass sich die Zustände mit der anstehenden Regenzeit weiter verschlechtern werden.

Nyaluak Tang*, ihr Ehemann und ihre sechs Kinder sind fast einen Monat aus Jonglei im Südsudan bis zum äthiopischen Grenzdorf Pagak gelaufen, wo sie im August 2020 ankamen. „Wir haben unsere Heimat wegen der schweren Überschwemmungen verlassen, die uns unsere Nahrung nahmen“, berichtet die Dreißigjährige. „Ein weiterer Grund war die Unsicherheit. Eines unserer Kinder wurde von einer anderen ethnischen Gruppe entführt und wir hatten Angst um die Sicherheit unserer anderen Kinder.“ 

Die Familie kam mit der Hoffnung nach Äthiopien, in einem Geflüchtetencamp unterzukommen, Lebensmittel zu erhalten und einen sicheren Ort zum Leben zu haben. 

Schwangere und Babys schlafen unter freiem Himmel 

In Äthiopien leben viele Asylsuchende und Geflüchtete. Allein in der Region Gambella sind es mehr als 337.000 Geflüchtete in sieben Camps. Doch aufgrund der Covid-19-Pandemie und anderen Schwierigkeiten wurde die Registrierung und Umverteilung von Neuankömmlingen für Monate auf Eis gelegt.  

Nyaluak und ihre Familie saßen acht Monate im Aufnahmezentrum in Pagak fest, obwohl die Asylsuchenden dort eigentlich nur für eine kurze Zeit bleiben sollen. Der Standort ist zudem ungeeignet, da er überschwemmungsgefährdet ist und sehr nah an der Grenze zum Südsudan liegt. 

Etwa 16.000 Asylsuchende aus dem Südsudan, die alle der Gemeinschaft der Nuer angehören, leben auf einem kleinen, eingezäunten und überfüllten Gelände, das zwischen den Wohnsiedlungen der aufnehmenden Gemeinde eingequetscht ist. Die Lebensumstände der Geflüchteten - die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder - sind furchtbar. Tausende Menschen leben in einem Dutzend überfüllter, heruntergekommener Gebäude, kaum mehr als Schuppen. Die meisten haben weder Matratzen noch Decken. Und das sind noch die Glücklichen.  

Hunderte Frauen und Kinder, auch Schwangere und Babys, müssen unter freiem Himmel schlafen, viele ohne Plastikplanen, auf denen sie liegen könnten oder Decken, die sie zudecken würden. Sie sind der Witterung schutzlos ausgeliefert. Die hygienischen Bedingungen sind ebenso schlecht. Die wenigen Latrinen sind meist überfüllt, deswegen verrichten viele ihre Notdurft im Freien. Krankheiten sind die logische Konsequenz. Im Februar und März haben wir 1.233 Kinder mit akutem wässrigem Durchfall behandelt. 

Alle sind hungrig 

Ohne Registrierung haben die Asylsuchenden keinen Zugang zu lebenswichtigen Hilfen. So haben sie keine Lebensmittel bekommen, seit sie in Pagak angekommen sind. Alle sind hungrig. „Ich sammle Früchte und Blätter aus dem Wald und koche sie für meine Kinder“, sagt die 45-Jahre alte Nyachuol Tut*. Überall im Aufnahmezentrum kochen Frauen leuchtend grüne Blätter in Töpfen auf behelfsmäßigen Feuerstellen. Viele haben in den vergangenen Monaten nichts Anderes gegessen. Andere sammeln Feuerholz und verkaufen es für wenig Geld an die lokalen Geschäfte, um Hirse oder andere Lebensmittel zu kaufen. Allerdings kann es gefährlich sein, sich in den Wald zu wagen. „Manchmal sehen wir Soldaten aus dem Südsudan, die den Fluss nach Äthiopien überqueren, und sie schlagen uns,“ sagt Nyachuol. Andere berichten, dass Kinder, die nah am Fluss spielten, der die Grenze zum Südsudan bildet, entführt wurden. 

“Niemand hilft uns” 

Viele Mütter sind mit ihrem Latein am Ende, wie die 28-jährige Nyabol Lam*, die im Februar in Pagak ankam. Die alleinerziehende Mutter ist mit ihren drei Kindern, sowie drei Nichten und Neffen aus dem Bundesstaat Jonglei geflohen, nachdem ihre Schwester und ihr Schwager bei Kämpfen zwischen verschiedenen Gemeinschaften getötet wurden. Das jüngste Kind ist erst ein Jahr alt. Sie schlafen alle im Freien. "Ich habe nicht einmal einen Behälter zum Kochen, keine Utensilien. Wir haben nichts zu essen. Die Kinder schlafen nur, weil sie keine Energie haben. Wir haben keine Kleidung, keine Decken. Niemand hilft uns", sagt sie.  

Mit der bevorstehenden Regenzeit, die Ende April beginnt, wird sich die Situation weiter verschlechtern, wenn keine Lösung gefunden wird. Schon jetzt haben gelegentliche Regengüsse Teile des Lagers in einen Sumpf verwandelt. Sobald die Regenzeit voll einsetzt, werden die Menschen nicht mehr draußen schlafen können. "Wenn es regnet, suchen wir alle Schutz in den Schuppen", sagt der 67-jährige Gatluak Deng*, der mit seinen Kindern und Enkelkindern draußen schläft. "Weil es dann so voll ist, müssen wir die ganze Nacht aufbleiben. Keiner hat Platz, um sich hinzulegen." Die Regenzeit erschwert auch das Sammeln von Feuerholz, Blättern und Waldfrüchten sowie das Kochen im Freien.  

Die Regenzeit bringt weitere Gefahren mit sich 

Schon jetzt gibt es auf dem Gelände mehrere Tümpel mit stehendem Wasser, die einen idealen Nährboden für Moskitos bilden. "Malaria ist bereits jetzt eine der häufigsten Erkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren", sagt unsere Landeskoordinatorin Audrey van der Schoot. "Im Februar und März haben wir 593 Patient*innen mit Malaria behandelt. Wir erwarten, dass die Zahlen steigen werden, sobald die Regenzeit beginnt, ebenso wie Fälle von durch Wasser übertragenen Krankheiten, wie akuter wässriger Durchfall."  

Im März gab es zudem vier bestätigte Fälle von Covid-19 im Aufnahmezentrum von Pagak. Da die Menschen sehr eng beieinander leben und es kaum Masken und angemessene Maßnahmen zur Infektionsprävention und -kontrolle gibt, verbreitet sich Covid-19 und andere übertragbare Krankheiten hier schnell. Sobald der Regen einsetzt und alle unter den wenigen verfügbaren Dächern zusammengedrängt sind, wird sich die Situation sehr wahrscheinlich verschlimmern. 

"Die Situation muss dringend gelöst werden. Die Asylsuchenden müssen zeitnah registriert werden, und der Prozess zur Einrichtung eines richtigen Aufnahmezentrums an einem geeigneteren Ort in der Region muss beschleunigt werden, damit diese Menschen Nahrung, Schutz und andere Hilfsleistungen erhalten", sagt van der Schoot. "In der Zwischenzeit fordern wir andere Organisationen auf, die lebenswichtige Hilfe in Pagak zu verstärken."  

Ärzte ohne Grenzen hat im Februar 2021 mit medizinischen Aktivitäten im Gesundheitsposten in Pagak begonnen und bis Ende März mehr als 6.870 medizinische Konsultationen abgehalten. Unser Team behandelt sowohl Asylbewerber*innen als auch die lokale Bevölkerung. Die fünf häufigsten Erkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren sind akuter wässriger Durchfall, Infektionen der oberen und unteren Atemwege, Malaria und Augeninfektionen.  

*Namen zum Schutz geändert