Direkt zum Inhalt
Libyen

250 Menschen in überfüllte Internierungslager in Libyen zurückgebracht - Schutzsuchende leiden unter Mangelernährung, Krankheiten und Gewalt

Mittelmeer

Tripolis/Misrata/Khoms, 23. Januar 2019. In den vergangenen beiden Tagen wurden 250 Flüchtlinge und Migranten völkerrechtswidrig vom Mittelmeer nach Libyen zurückgebracht und in überfüllte Internierungslager in den Städten Misrata und Khoms gesperrt. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen überwies am Montag in Khoms zehn Menschen nach ihrer Rückführung wegen akuter Gesundheitsprobleme in ein Krankenhaus. Trotzdem starb ein 15 Jahre alter Junge wenig später in der Klinik. Die EU unterstützt mit der Finanzierung der libyschen Küstenwache und der Behinderung von Rettungsschiffen die systematischen Rückführungen von auf dem Mittelmeer aufgegriffenen Schutzsuchenden in das Konfliktgebiet nach Libyen.

„Menschen nach Libyen zurückbringen zu lassen, ist inhuman“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. „Die EU-Staaten inklusive Deutschlands zwingen Männer, Frauen und Kinder zurück in einen Kreislauf von Missbrauch und Gewalt. Dass die Bundesregierung sogar den jüngsten UN-Bericht über die furchtbaren Zustände in Libyen ignoriert, ist unfassbar. Und während Rettungsschiffe gezielt blockiert werden, ertrinken weiterhin Menschen im Mittelmeer. Statt für ausreichend Seenotrettung zu sorgen, zieht sich die Bundesregierung sogar aus der EU-Operation Sophia zurück, die zuletzt ohnehin kaum noch Menschen gerettet hat. Europa lässt Schutzsuchende ertrinken und zwingt die Überlebenden in akute Gefahr.“

Am vergangenen Wochenende ertranken mehr als 100 Menschen im Mittelmeer. Am Montag wurden 106 Überlebende von einem Handelsschiff in den Hafen von Khoms zurückgebracht. Laut ihrer Berichte sind sechs Mitglieder dieser Gruppe ertrunken. „Als die Menschen an Land kamen, benötigten mehrere von ihnen dringend medizinische Hilfe“, sagt Julien Raickman, der Projekte von Ärzte ohne Grenzen in Misrata, Khoms und Bani Walid koordiniert. „Die Menschen sind verzweifelt. Sie brauchen Hilfe und Schutz, und dürfen nicht länger von einer Gefangenschaft in die nächste geschickt werden.“

Am Dienstag wurden 144 weitere Überlebende von einem anderen Handelsschiff nach Misrata zurückgebracht. Unter den 250 Flüchtlingen und Migranten sind Frauen, darunter Schwangere, Babys und Kinder unter sieben Jahren. Seit Anfang 2019 stieg die Zahl der willkürlich festgehaltenen Menschen in den Lagern der Region um Misrata und Khoms von 650 auf 930.

Die ohnehin schlechten Lebensbedingungen in den überfüllten Internierungslagern verschärfen sich auf diese Weise weiter. Die Gefangenen haben keine Möglichkeit, aus den Zellen heraus ans Tageslicht zu kommen. Sie erhalten kaum sauberes Wasser und Nahrung. Das Essen entspricht in keiner Weise dem Ernährungsbedarf von Kranken, Kindern und Schwangeren. Einige der kürzlich zurückgebrachten Menschen leiden an Mangelernährung, Unterkühlung oder schwerem Durchfall. Mehrere berichten, dass sie vor ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, bereits wochen- oder monatelang von Menschenhändlern gefangen gehalten und systematisch missbraucht und gefoltert worden seien. 

Auch in den Internierungslagern in der Hauptstadt Tripolis steigen die Zahlen der festgehaltenen Flüchtlinge und Migranten. Fast alle Internierungslager sind schlecht gegen das Winterwetter geschützt. Aufgrund der Kälte erkranken die Gefangenen vermehrt. In einem Lager hat Ärzte ohne Grenzen bei den Gefangenen einen starken Gewichtsverlust beobachtet, weil sie zu wenig zu essen bekommen. 

Zudem gerieten bei den jüngsten Kämpfen im Süden von Tripolis erneut Flüchtlinge und Migranten in einem offiziellen Internierungslager in die Schusslinie. Bei den Kämpfen wurden nach Angaben von Vertretern der Weltgesundheitsorganisation 14 Menschen getötet und 58 verletzt. Zivilisten waren zeitweise in der Kampfzone eingeschlossen, darunter etwa 228 Geflüchtete und Migranten, die willkürlich im Internierungslager Kasr Bin Gaschir festgehalten werden. Die Wasserversorgung des Lagers wurde unterbrochen und die Gefangenen blieben ohne Zugang zu sauberem Wasser, bis Ärzte ohne Grenzen eine Notversorgung einrichten konnte. Ein Team der Organisation hat das Internierungslager in den vergangenen 48 Stunden zweimal besucht, um Patienten zu behandeln und Medikamente für Tuberkulosepatienten bereitzustellen.
 

Für weitere Auskünfte sprechen Sie uns an

Image
Stefan Dold
- Pressestelle