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Tut endlich das Richtige!

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Elisabeth Massute

Elisabeth Massute

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen und bin Expertin für den gerechten Zugang zu Medikamenten.

Während Covid-19 die Gesundheitssysteme rund um den Globus überlastet, haben immer mehr Länder ihre Unterstützung für den TRIPS-Waiver-Antrag Indiens und Südafrikas erklärt. Die Europäische Union (EU) aber widersetzt sich weiterhin dem notwendigen Schritt temporär Patente und geistige Eigentumsrechte für medizinische Covid-19-Produkte aufzuheben.   

Letzte Woche legte die Europäische Union der WTO einen eigenen Vorschlag vor, der die Rolle von Zwangslizenzen als Lösung unterstreicht. Damit fördert die EU eine Schutzmaßnahme, die nur Patente, aber nicht alle Barrieren geistiger Eigentumsrechte beseitigen kann. Solch ein Werkzeug ist nicht für Pandemiezeiten gedacht und dafür auch völlig ungeeignet. 

Wir bei Ärzte ohne Grenzen sind besorgt, dass dieser Gegenvorschlag vom Wesentlichen ablenkt und nur dazu dient, die Entscheidung bezüglich des TRIPS-Waivers weiter zu verzögern.

Der Vorschlag der EU ist als Schritt in der Bekämpfung einer globalen Pandemie unzureichend! Hier drei Gründe, warum: 

1. Die Wirkungsmöglichkeit des Vorschlags ist sehr begrenzt. 

Der EU-Gegenvorschlag bezieht sich nur auf Patentschranken; er spricht keine anderen Barrieren des geistigen Eigentums an, wie z.B. die Rechte zur Nutzung relevanter Informationen einschließlich Geschäftsgeheimnissen, regulatorischer Daten und biologischer Materialien. Auch bezieht sich der sogenannte Alternativvorschlag nur auf Impfstoffe und Behandlungen - andere lebenswichtige medizinische Geräte, die zur Bekämpfung der Pandemie benötigt werden, wie etwa Tests, Beatmungsgeräte oder medizinische Schutzkleidung werden nicht erwähnt. Ebenso wenig werden Rohstoffe bedacht, die zur Produktion all dieser Dinge benötigt werden.  

Damit ist die Wirkung dieses Ansatzes zweifelhaft und nicht annähernd vergleichbar mit der des TRIPS-Waiver-Antrags.  

2. Die vorgeschlagenen Maßnahmen bestehen bereits und sind die für den aktuellen Kontext nicht geeignet. 

Der EU-Vorschlag stützt sich zu stark auf bestehende Maßnahmen wie Zwangslizenzen. Die Möglichkeit, Zwangslizenzen zu vergeben, wurde aber nicht mit Blick auf eine Pandemie geschaffen und ist somit zu begrenzt, um in der aktuellen Situation wirklich etwas zu bewirken. Die Umsetzung von Zwangslizenzen dauert sehr lange, denn jedes Land muss dafür einzeln mit den Herstellern verhandeln, für jedes einzelne Produkt. Sie dienen zusätzlich hauptsächlich für die Deckung eines nationalen Bedarfs. Das würde sehr viel Zeit kosten in einer Situation, in der jeder Tag zählt.  

Was die EU vorschlägt, ist nicht neu. Regierungen können Zwangslizenzen erlassen, wenn sie das für sinnvoll halten – dafür benötigen sie nicht die Zustimmung der anderen WTO-Mitglieder.

Die WTO-Mitglieder aufzufordern, etwas zu vereinbaren, das bereits existiert und eigentlich keine zusätzliche Vereinbarung erfordert, ist überflüssig.

Außerdem unterliegt das Erlassen von Zwangslizenzen strengen Regeln, was sie sehr ineffektiv macht. Beispielsweise sind mit Zwangslizenzen u.a. strenge Anforderungen an die Verpackung und Farbe der Produkte verbunden - unnötige Verzögerungen und Komplikationen, die den Prozess langwierig und damit weniger wirkungsvoll machen. Der Gegenvorschlag der EU geht auf diese Probleme nicht ein und lässt damit die Flexibilität vermissen, die eine globale Krise dieser Dringlichkeit erfordert.

3. Die freiwillige Kooperation der Pharmaunternehmen wird von der EU in ihrem Antrag vorausgesetzt. 

Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass man sich selbst in Gesundheitskrisen nicht allein auf den guten Willen der Pharmaindustrie verlassen kann.  

Ein Beispiel: Pharmakonzerne wurden eingeladen, sich C-TAP anzuschließen, einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Förderung der freiwilligen Zurverfügungstellung von geistigem Eigentum, um die Herstellung und Lieferung von Covid-19-Medizinprodukten zu ermöglichen. Mehr als ein Jahr später gibt es noch immer keine Interessenten.   

Freiwillige Lizenzvereinbarungen sind oft sehr intransparent. Das kritisiert auch die WHO. Außerdem können lizenzgebende Hersteller, die Produktionsmenge und den Verkauf einschränken. Damit kontrollieren einige wenige Firmen immer noch, wo das Produkt hergestellt und wohin es geliefert wird. In einer Pandemie ist das nicht akzeptabel. Pharmakonzerne sollten nicht die alleinige Macht haben zu entscheiden, wer während einer weltweiten Pandemie Zugang zu lebensrettenden medizinischen Hilfsmitteln hat – insbesondere da Milliarden an öffentlichen Fördergeldern in die Entwicklung und Erforschung vieler dieser Produkte, zum Beispiel der Impfstoffe, geflossen sind. 

Es ist weit nach 12: Tut endlich das Richtige!  

Die EU hat sich mehr als acht Monate lang gegen den TRIPS-Waiver-Antrag gewehrt. Seitdem der Vorschlag zum ersten Mal vorgelegt wurde, hat sich die Pandemie verschlimmert und trifft im Besonderen Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.    

Anstatt die Schieflage der Situation und die Dringlichkeit zu erkennen und sich wie verspochen solidarisch zu verhalten, hat die EU einen Gegenvorschlag eingereicht, der nicht nur nichts Wesentliches zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beiträgt, sondern die Verhandlungen zum TRIPS-Waiver ausbremst.   

Die EU sollte endlich das Richtige tun und sich den 106 Ländern anschließen, die die Ausnahmeregelung unterstützen. Globale Solidarität ist in dieser Krisensituation die einzig vertretbare Haltung. Ein verbesserter Zugang zu Covid-19-Medizinprodukten für alle und überall ist notwendig für eine schnelle Eindämmung der Pandemie!