Direkt zum Inhalt

Kiribati: "Der Kanarienvogel in der Kohlenzeche der Klimakrise”

Südlich von Hawaii und nördlich von Neuseeland verteilen sich 32 Atolle in einem 3,4 Millionen Quadratkilometer großen Meeresgebiet. Circa 120.000 Menschen leben auf den Kiribati-Inseln, davon die Hälfte in der Hauptstadt South Tarawa. Die Auswirkungen der Klimakrise, Bevölkerungswachstum und eine schlechte medizinische Grundversorgung machen den Menschen dort das Leben schwer: Kiribati hat eine der weltweit höchsten Inzidenzen an Lepra, Tuberkulose und Diabetes. Auch die Mutter-Kind-Versorgung ist nicht ausreichend. 

Weniger Nahrungsmittel durch Landverlust, Versalzung und Bevölkerungswachstum 

Image
Kiribati: Der steigende Meeresspiegel lässt die Küstenlinie erodieren.
Dies war einmal ein Strand, an dem sich Familien zu Wochenendpicknicks trafen. Der steigende Meeresspiegel lässt die Küstenlinie von Süd-Tarawa, Kiribati, erodieren und aufgetürmte Autoreifen bieten dem Meer kaum Widerstand. Das schrumpfende Land drängt die Menschen weiter ins Landesinnere, entsprechend wir es sprichwörtlich enger. Die beengteren Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose oder Lepra.
© Joanne Lillie/MSF

Der höchste Punkt von Tarawa liegt mittlerweile gerade mal 3 Meter über dem Meer – jeder Zentimeter des steigenden Meeresspiegels ist demnach eine große Bedrohung. 80 Prozent der Haushalte gaben 2016 an, direkt vom steigenden Meeresspiegel betroffen zu sein. Zusätzlich zum Landverlust dringt vermehrt Salzwasser in das Grundwasser und die Böden ein, die Lufttemperaturen steigen an und fehlender Niederschlag führt immer häufiger zu Dürren.

Durch den Bodenverlust ist die Landwirtschaft bedroht. Vor allem auf den äußeren Inseln konnten sich die meisten Menschen bisher selbst versorgen, doch seit einigen Jahren ist dies immer weniger möglich. Auch die Fischerei ist betroffen: Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Auswirkungen des Klimas auf die Fischerei in Korallenriffen kann die Bevölkerung sich von der Küstenfischerei bald nicht mehr ausreichend ernähren. Man geht davon aus, dass die Einwohner*innen Kiribatis bis 2030 50 Prozent mehr Nahrung benötigen werden, um den steigenden Bedarf abzudecken. 

Frisches Obst und Gemüse kosten mehr als ein Tagesgehalt

Image
Kiribati: Frisches Obst und Gemüse ist oft unerschwinglich.
Der Preis für Gesundheit: Ein Kürbis kostet zwischen 12 und 20 Euro.
© Joanne Lillie/MSF

Die sich durch die Auswirkungen der Klimakrise verändernden Lebensbedingungen tragen zusätzlich zur Ernährungsunsicherheit bei. So sind zum Beispiel Frischwaren sehr kostspielig: Für einen Kürbis müssen die Menschen teilweise bis zu 20 Euro zahlen, für eine Melone bis zu 32 Euro – für die meisten kaum erschwinglich, wenn man bedenkt, dass der Mindestlohn einen Euro pro Stunde beträgt. Die Inselbewohner*innen verzehren daher nur wenig Früchte und Gemüse.

Darüber hinaus werden zunehmend importierte zuckerhaltige Getränke, Konserven und sonstige verarbeitete Lebensmittel verzehrt. Die Folge: Schätzungsweise 38 Prozent der Männer und 54 Prozent der Frauen sind mehrgewichtig, während 25 Prozent der Kinder unter fünf Jahren mangelernährt sind. 70 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 69 Jahren weisen drei oder mehr Risikofaktoren für chronische Krankheiten auf. 

Die menschliche Gesundheit beruht auf der Gesundheit der Erde 

“Wir beobachten hier eine Kombination aus den Folgen der Klimakrise und nichtübertragbaren Krankheiten wie nirgendwo anders”, erklärt Dr. Lachlan McIver, unser Berater für tropische Krankheiten und planetare Gesundheit. Für Dr. McIver sind die kleinen Inselstaaten der sprichwörtliche Kanarienvogel in der Kohlenzeche der Klimakrise: Die Inseln zeigen uns jetzt, was große Teile der Erde auf die eine oder andere Art in Zukunft erwartet.

75 Prozent der Todesfälle in der Pazifikregion sind auf nichtübertragbare Krankheiten zurückzuführen. In Kiribati sind beispielsweise 44 Prozent der Frauen zwischen 45 und 69 Jahren an Diabetes erkrankt, die Zahl der Betroffenen steigt. Neben der ungesunden Ernährung spielen Bluthochdruck, mangelnde Bewegung und Rauchen eine Rolle. 

“Diabetes ist besonders besorgniserregend bei schwangeren Frauen, da die Krankheit ein hohes Risiko für Mütter und Babys darstellt. Sie benötigen vor, während und nach der Geburt Zugang zu einer spezialisierten Versorgung”, erklärt Sandra Sedlmaier-Ouattara, Hebamme in unserem Projekt in Kiribati. 

Schulungen für Geburtshilfepersonal

Seit Oktober unterstützt unser Team, bestehend u.a. aus einer Kinderärzt*in, einer Hebamme und einer Allgemeinmediziner*in, das Gesundheitsministerium rund um die Mutter-Kind-Gesundheit: Unsere Arbeit auf Kiribati zielt darauf ab, die Erkennung und Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck im Zusammenhang mit der Mutter-Kind-Gesundheit u.a. auf den südlichen Gilbert-Inseln zu verbessern. Bislang hatten Frauen mit einer Risikoschwangerschaft auf den äußeren Inseln nur begrenzten Zugang zu weiterführender Gesundheitsversorgung.

“Wir schulen vor allem Geburtshelfer*innen, Pflegefachpersonen und Ärzt*innen und sind als Mentoren ansprechbar und begleiten”, so Sedlmaier-Ouattara. Weitere Aktivitäten zielen darauf ab, die Versorgung von Neugeborenen in den ersten 24 Lebensstunden zu verbessern. Dazu wird das Gesundheitspersonal in Tabiteuea North und Tarawa im Rahmen des universellen Programms “Helping Babies Breathe” (Babies beim Atmen helfen), sowie im Fallmanagement geschult. 

Die Klimakrise können wir nur solidarisch angehen

Darüber hinaus bereiten wir uns darauf vor, die Modernisierung der Infrastruktur des Krankenhauses in Tabiteuea North zu unterstützen: Wir planen unter anderem, erneuerbare Energie und sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen und das Abfallmanagement zu optimieren. Durch die verbesserte Infrastruktur sollen Überweisungen in das Krankenhaus gefördert und chirurgische Kapazitäten ausgebaut werden. 

Die Pazifikinsel Kiribati gehören zu den am stärksten von der Klimakrise betroffenen Orten der Welt. Die direkten Auswirkungen des Klimawandels sind dort bereits jetzt sichtbar. Wir dürfen die Menschen, die als erste die Folgen der Klimakrise erleben, nicht allein lassen. Wir müssen solidarisch für die Gesundheit unseres Planeten und aller Menschen handeln. 

“Wenn wir angesichts der Klimakrise und ihrer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht handeln, werden wir unserer medizinischen und ethischen Verpflichtung gegenüber unseren Patient*innen nicht gerecht,” sagt Dr. Christos Christou, unser internationaler Präsident.