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Syrien

Nordwest-Syrien: Psychische Belastung ein Jahr nach den Erdbeben weiterhin groß

Idlib/Berlin, 6. Februar 2024. Ein Jahr nach den verheerenden Erdbeben am 6. Februar 2023 leiden die Menschen im Nordwesten Syriens noch immer unter starker psychischer Belastung. Aber auch an sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, Unterkünften und medizinischer Versorgung mangelt es weiterhin. „Seit dem Erdbeben sind die Fälle von posttraumatischer Belastungsstörung und Verhaltensproblemen sprunghaft angestiegen, vor allem bei Kindern", sagt Omar Al-Omar, Betreuer für psychische Gesundheit bei Ärzte ohne Grenzen in Idlib. „Hinzu kommen Panikattacken, verschiedene Arten von Phobien und psychosomatische Symptome.“ 

Die Menschen in der Region hatten schon vor den Erdbeben unter den Folgen eines mehr als zehnjährigen Krieges und den Auswirkungen der Wirtschaftskrise gelitten. „Die Erdbeben haben zu mehr Armut, Obdachlosigkeit und Vertreibung geführt, die Lebensbedingungen der Menschen verschlechtert, genauso wie die Wirtschaftslage und das Bildungssystem und Schäden an der Infrastruktur verursacht“, sagt Thomas Balivet, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen. „Darüber hinaus haben Tausende Kinder ihre Bezugspersonen verloren oder körperliche Verletzungen und Amputationen erlitten. All diese Faktoren haben die psychische Situation von Tausenden von Menschen in der Region verschärft.“ 

Bei den Erdbeben wurden in Nordwestsyrien 55 Gesundheitseinrichtungen beschädigt. Neben medizinischer Hilfe benötigten die Menschen in der gesamten Region auch Toiletten, Duschen, Heizungsanlagen, Winterkleidung, Generatoren, Decken, Hygienesets und Reinigungsmittel. In den Stunden nach dem ersten Beben leisteten die Teams von Ärzte ohne Grenzen medizinische Notversorgung und begannen sofort mit der Verteilung der vorhandenen Vorräte an lebenswichtigen Hilfsgütern. In den folgenden Tagen schickte Ärzte ohne Grenzen 40 Lastwagen mit Hilfsgütern in das Gebiet, darunter auch Lebensmittel und Materialien für Unterkünfte. In der Zwischenzeit bauten Expert*innen von Ärzte ohne Grenzen Toiletten und Duschen für die Überlebenden des Erdbebens und versorgten sie mit sauberem Trinkwasser. 

„Nach der akuten Phase der Nothilfe verlagerte sich unser Schwerpunkt auf die Bereitstellung von Unterkünften, Nahrungsmitteln und Hilfsgütern sowie auf die Sicherstellung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung und zu Wasser- und Sanitärdiensten“, sagt Balivet. „Der Mangel an diesen Grundbedürfnissen hat sich tiefgreifend auf die psychische Gesundheit der Menschen ausgewirkt“. 

Ärzte ohne Grenzen bietet seit 2013 auch psychosoziale Dienste für Menschen im Nordwesten Syriens an. Nach den Erdbeben wurden mobile Beraterteams für psychische Gesundheit an 80 Orten in der Region eingesetzt, um psychologische Erste Hilfe und Beratungen anzubieten – insgesamt waren es 8.026 Sitzungen.   

In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen richtete Ärzte ohne Grenzen zudem an vier Orten in den Provinzen Nord-Aleppo und Idlib ein Programm für „sichere Orte“ ein, an denen Frauen und Kinder einen Moment der Ruhe finden können. Diese Orte gibt es noch immer, drei weitere Standorte in der Provinz Idlib sind noch hinzugekommen. In diesen speziellen Zelten können Frauen und Kinder malen, an Gruppensitzungen teilnehmen oder sich einfach ausruhen. 

Die 36-jährige Hind kommt regelmäßig in einen der Räume. „Wenn ich in den Schutzraum komme, vergesse ich alles, ich vergesse die Qualen und die Angst“, sagt sie. „Meine Kinder kommen mit mir und spielen. Wir alle vergessen die Angst, wir alle vergessen, was nach dem Erdbeben passiert ist.” Hind lebt mit ihren fünf Kindern bis heute in einem Zelt. „Die Kinder haben Angst vor Häusern und Gebäuden.“  

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Portrait: Katharina Wiechers
Katharina Wiechers
- Pressestelle