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Migrationspakt: Wir fordern mehr als eine Absichtserklärung

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Portrait: Marie von Manteuffel

Marie von Manteuffel

Ich bin Expertin für Flucht und Migration und arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen. Zusätzlich zu meiner Tätigkeit in Berlin war ich als Humanitarian Affairs Officer in Libyen im Einsatz.

Pushbacks, langfristige Internierungen, Doppelstandards je nach Herkunftsland: Migrant*innen und Geflüchtete sind weltweit massiven Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Ändern sollte dies der Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration. Doch in seiner jetzigen Form bleibt er nur eine Absichtserklärung. 

Genfer Flüchtlingskonvention reicht nicht mehr aus 

Der Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM) – auch Migrationspakt genannt – entstand als Antwort auf eine Reihe von Versorgungskrisen von Menschen auf der Flucht weltweit, entlang der EU-Außengrenzen genauso wie beispielsweise entlang der Flucht- und Migrationsrouten durch Lateinamerika. Insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 wurde einmal mehr klar: Die Genfer Flüchtlingskonvention reicht nicht aus, um alle Menschen, die weltweit ihre Heimat verlassen, zu schützen. Im Jahr 2021 wurden 272 Millionen Menschen als Migrant*innen identifiziert, 82 Millionen Menschen als Geflüchtete. 

Gemeinsame Ziele - aber freiwillig 

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Einwanderungspolitische Maßnahmen, wie die des Titel 42 der Vereinigten Staaten, führen dazu, dass Asysuchende an den Grenzen abgewiesen werden.
© MSF/Esteban Montaño

Zentrale Idee der Initiative für einen globalen Pakt zu Migration war, die gesamte Weltgemeinschaft mit ihren sehr unterschiedlichen Perspektiven auf Migration an einen Tisch zu bringen und gemeinsame Ziele zu formulieren. Diese Ziele sollen sowohl die Situation in den Ländern abbilden, aus denen typischerweise Menschen emigrieren, als auch die Situation der überwiegend Transit- oder Aufnahmeländer.  

Die ausformulierte Rahmenvereinbarung wurde schließlich von 164 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Dezember 2018 angenommen. Die Umsetzung der darin enthaltenen Forderungen bleibt allerdings freiwillig.  

Die einzelnen Länder entscheiden daher selbst, welche Forderungen sie umsetzen und welche nicht. Vier Jahre nach Verabschiedung des Paktes müssen wir aus den Beobachtungen in unseren Projekten feststellen: Diejenigen Menschen, die eigentlich geschützt werden sollen, zahlen weiterhin einen hohen Preis für die anhaltende Ungleichheit. 

Wir fordern sämtliche Unterzeichnerstaaten auf, allen voran die Deutsche Bundesregierung, ihre Ankündigungen von 2018 umzusetzen. Der Pakt darf nicht zu einer Absichtserklärung verkommen.

 23 Ziele für die Zukunft

  • Zu den Zielen des Migrationspaktes gehört unter anderem das Ziel 4: Migrant*innen sollen über Dokumente ihrer Identität verfügen. Bis heute haben viele Menschen genau diesen Zugang zu einer rechtlichen Identität nicht. Sie werden z.B. im eigenen Land verfolgt oder haben ihre Dokumente auf ihrer Flucht- oder Migrationsroute verloren oder abgenommen bekommen. 
  • Gemäß Ziel 5 sollen reguläre Wege für eine legale Migration geschaffen werden. Aktuell werden Grenzübertritte aber noch zu oft als kriminelle Handlung registriert und haben somit fatale Folgen für die Migrant*innen und Geflüchtete: Einige werden beispielsweise auf unbestimmte Dauer in gefängnisartigen Internierungslagern an den EU-Außengrenzen festgehalten. 
  • Weiterhin verlangt Ziel 7: Menschen "on the move" sind vielfältigen Vulnerabilitäten ausgesetzt. Diese müssen unabhängig davon Berücksichtigung finden, welchen rechtlichen Status sie erhalten. Die Beweggründe der Menschen, ihre Heimat zu verlassen sind komplex, individuell und vielschichtig. Bis heute sagt der rechtliche Status nur wenig über die tatsächliche Lebensrealität und Schutzbedürftigkeit des einzelnen Menschen aus.  
  • Das Leben von Migrant*innen muss geschützt und gerettet werden – aktuell werden mehr als 48.000 Migrant*innen weltweit vermisst. Fast die Hälfte dieser Menschen wird im Mittelmeerraum vermisst. Daher gehören zum Schutz von Menschen auf der Flucht auch internationale Maßnahmen, wie zum Beispiel die Seenotrettung, welche in Ziel 8 explizit genannt wird. Wir fordern legale Aufnahmewege nach Europa.
  • In Ziel 15 fordert der Migrationspakt den generellen Zugang für Migrant*innen zu Grundleistungen. Dazu zählt vor allem auch eine medizinische Versorgung: Bis heute können Menschen auf der Flucht viel zu selten grundlegende medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. 

Verantwortung übernehmen 

Am 17. Mai 2022 beginnt das erste International Migration Review Forum in New York. Ziel der Konferenz ist die Überprüfung der weltweiten Fortschritte, die bisher erwirkt wurden. Die Welt steht gleichzeitig vor großen Herausforderungen: die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf Leben und Gesundheit und eine Rekordzahl von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. 

Die Konferenz bietet daher einen bedeutenden Anstoß, sich auf die ursprüngliche Intention des Migrationspakts zurückzubesinnen: Migration in ihrer komplexen Vielfalt auf die Tagesordnung zu bringen. Die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden auf Bedürfnisse, Herausforderungen und Chancen schaffen wichtigen Austausch. Denn Migration spielt längst eine zentrale Rolle in unserer globalen Gesellschaftsordnung.  

Entscheidend ist, dass alle beteiligten Staaten ehrlich den eigenen Stand der Umsetzung betrachten und dadurch ein in die Zukunft gerichteter Dialog entsteht. Dabei kommt der Zivilgesellschaft eine besondere Bedeutung zu, diesen Dialog kritisch zu begleiten.  

Entscheidend ist außerdem, dass eine Migrationspolitik vereinbart wird, welche die Menschen und ihre grundlegenden Bedürfnisse und Lebensrealitäten in den Mittelpunkt stellt.

Das bedeutet zuallererst, dass bei der Einhaltung von Menschenrechten nicht nach rechtlichen Kategorien unterschieden wird und der Zugang zu überlebenswichtigen Gütern diskriminierungsfrei und ungehindert ermöglicht wird.

Deutschland setzt Standards noch nicht um 

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Ein Rettungseinsatz der Geo Barents auf dem Mittelmeer.
Wir betreiben im Mittelmeer ein Schiff zur Seenotrettung, die Geo Barents. Die Untätigkeit derBehörden in diesem Bereich macht Initiativen dieser Art notwendig, um viele Migrant*innen vor dem Ertrinken zu retten.
© Anna Pantelia/MSF

Die Migrationspolitik der Europäischen Union sowie der Bundesrepublik war in den vergangenen Jahren von Abschottung und Abschreckung an den EU-Außengrenzen geprägt. Dabei wurden Menschenrechte dauerhaft verletzt: Unrechtmäßige Pushbacks an Landesgrenzen und auf hoher See oder willkürliche Inhaftierung wurden nicht verhindert.

Die deutsche Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag im Herbst 2021 unter der Überschrift „Paradigmenwechsel“ ein eigenes Arbeitsprogramm geschrieben: In ihm werden auch Forderungen aus dem Pakt aufgegriffen, umgesetzt wurde davon bislang nichts.

Allem voran fordern wir daher für Migrant*innen und Geflüchtete: 

  1. Gewährleistung von Schutz und Zugang zu grundlegender Versorgung, insbesondere medizinischer Versorgung frei von Diskriminierung und frei von Doppelstandards je nach Herkunftsland 

  1. Ende der willkürlichen Internierung oder Festsetzung entlang der EU-Außengrenzen und ein Ende der Finanzierung der libyschen Küstenwache 

  1. Ausbau legaler Zugangswege, ein staatliches (europäisches) Seenotrettungsprogramm sowie die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen 

  1. Monate- und jahrelangen prekären Transit beenden und Digitalisierung von Visaverfahren beschleunigen