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Ärzte ohne Grenzen: Libysche Küstenwache gefährdet bei der Seenotrettung im Mittelmeer Menschenleben

Bei einem gemeinsamen Rettungseinsatz von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée auf dem Mittelmeer ist es am 23. Mai zu einem Zwischenfall gekommen. Nach Augenzeugenberichten von Mitarbeitern der Hilfsorganisationen hat sich die libysche Küstenwache havarierten Booten genähert, ihre Insassen bedroht, Schüsse in die Luft abgegeben, das Leben von Menschen gefährdet und Chaos verursacht.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée waren zu der Stelle gerufen worden, wo sich die Boote in Seenot befanden. Sie hatten Rettungswesten verteilt und die Evakuierung der Boote vorbereitet. Dabei wurden mehr als 20 Passagiere auf die Aquarius, das von beiden Organisationen gemeinsam betriebene Such- und Rettungsschiff, gebracht. Die übrigen Passagiere blieben in dem havarierten Boot zurück, während sich die Teams wieder entfernten, um einem weiteren Boot zu Hilfe zu eilen, das sich in einer noch gefährlicheren Situation befand.

Unterdessen näherte sich ein bewaffnetes Schiff der libyschen Küstenwache. "Zwei uniformierte und bewaffnete Mitarbeiter der libyschen Küstenwache traten auf eines der Gummiboote. Sie nahmen den Insassen Telefone, Geld und andere Habseligkeiten weg", sagt Annemarie Loof von Ärzte ohne Grenzen.

"Es ist ein Wunder, dass niemand ertrunken ist oder verletzt wurde"

"Die Leute gerieten in Panik und fühlten sich bedroht. Das aggressive Verhalten der libyschen Küstenwache versetzte die Menschen in Angst." Eine Massenpanik setzte ein. Dabei gingen mehr als 60 Menschen über Bord. "Viele Passagiere, die glücklicherweise schon Rettungswesten erhalten hatten, bevor die Schüsse fielen, sprangen aus Angst ins Meer", fügt Loof hinzu. "Unsere Teams zogen 67 Menschen aus dem Wasser während in die Luft geschossen wurde. Es ist ein Wunder, dass niemand ertrunken ist oder verletzt wurde."

"Die libysche Küstenwache zeigte wenig Interesse am Wohlergehen der Menschen in den beschädigten Booten", sagt Loof. "Ihr Verhalten war unverantwortlich, wenn nicht sogar direkt gefährlich."

“Lieber sterbe ich auf See als unterdrückt zu werden und in Libyen zu sterben"

Ein gambischer Bootsinsasse bezeugte den Vorfall gegenüber SOS Méditerranée folgendermaßen: "Die Libyer richteten ihre Waffen auf uns forderten uns auf, ihnen all unser Geld und unsere Handys zu geben und ins Wasser zu springen. Wir taten, was sie verlangten, und viele von uns sprangen über Bord. Ich hatte keine Angst. Lieber sterbe ich auf See als unterdrückt zu werden und in Libyen zu sterben."

Trotz der chaotischen Situation konnten die Teams von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée 1.004 Menschen an Bord der Aquarius in Sicherheit bringen. Unter ihnen war ein gerade zwei Wochen altes Baby. 

"Der Zwischenfall wirkt noch verstörender, wenn man sich vor Augen führt, dass die libysche Küstenwache von der Europäischen Union ausgebildet und unterstützt wird", betont Loof. "Wir sind der Aufassung, dass italienische und europäische Behörden die libysche Küstenwache weder direkt noch indirekt unterstützen sollten, weil das noch mehr zur Gefährdung von Menschenleben beiträgt."