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Idlib: Zehntausende kürzlich Vertriebene kämpfen bei Wintertemperaturen ums Überleben

Heftige Kämpfe im Nordwesten Syriens haben schon vor der jüngsten türkischen Offensive zu einer der größten Massenvertreibungen seit Kriegsbeginn geführt. Seit Mitte Dezember sind der Süden der Provinzen Idlib und Aleppo sowie der Norden der Provinz Hama stark umkämpft. Die Menschen sind durch den fast sieben Jahre dauernden Krieg bereits sehr geschwächt. Teams von Ärzte ohne Grenzen verteilen Hygiene- und Winterpakete.

Zehntausende Familien sind seit Dezember Richtung Norden geflohen. Sie leben dort bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in überfüllten Zelten oder selbstgebauten Unterkünften. Die offiziellen Lager in der Region sind bereits überfüllt, ein Großteil der Neuankömmlinge sucht deshalb in 160 provisorischen Lagern Schutz. Bis zu vier Familien teilen sich dort ein Zelt, eine Familie hat durchschnittlich sechs Mitglieder. In diesen informellen Lagern gibt es kaum Hygieneeinrichtungen, Nahrung, Wasser oder medizinische Versorgung.

Eine der größten Fluchtbewegungen seit Kriegsbeginn

„Die Lage verschlimmert sich immer weiter, weil immer mehr Vertriebene in dieses Gebiet fliehen. Es ist eine der größten Fluchtbewegungen seit Beginn des Krieges in Syrien. Hilfsorganisationen können die Not der Menschen kaum lindern“, sagt Zuhair Kanjou, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Idlib. „Eines der provisorischen Lager, das wir besucht haben, wurde wenige Tage später angegriffen. Die Menschen mussten erneut fliehen. Ihre zusammengeschusterten Unterkünfte sind zum Leben nicht geeignet. Der Regen kommt herein und macht alles zu Matsch. Die Bedingungen sind erbärmlich.“

Dr. Mohammed Yaakoup von einer mobilen Klinik von Ärzte ohne Grenzen besuchte kürzlich das Lager Al-Rahman nahe der türkischen Grenze. 44 kürzlich vertriebene Familien waren hier angekommen, 70 Familien lebten bereits zuvor in dem Lager. „Die medizinische Situation ist sehr schwierig. Atemwegsinfektionen sind weit verbreitet. Manche Familien waren eine Woche lang auf der Flucht, bevor sie hier angekommen sind. Sie schliefen entlang der Straße unter freiem Himmel,“ so Yaakoup. Der Arzt behandelt im Lager etwa 45 Patienten pro Tag, die Hebamme in seinem Team etwa 15 Frauen. „Viele Patienten mit chronischen Krankheiten haben ihre Medikamente schon einen Monat lang nicht genommen. Wir haben viele Patienten mit Diabetes und hohem Blutdruck. Die Kinder wurden jahrelang nicht geimpft.“

Decken und Isomatten für 1.000 Familien

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen verteilen Hygiene- und Winterpakete, einschließlich Decken und Isomatten. Bis jetzt wurden Hilfspakete an mehr als 1.000 Familien ausgegeben. Ärzte ohne Grenzen beliefert auch wichtige medizinische Einrichtungen und Notfallkliniken mit medizinischem Material und unterstützt die Organisation von Rettungstransporten mit Benzin sowie die Wartungsarbeiten der Krankenwagen.

In den kommenden Wochen werden die Teams ihre Impfkampagnen ausweiten und sich mit anderen Hilfsorganisationen koordinieren, um die Verteilung von Hilfsgütern an die bedürftigsten Menschen bestmöglich weiterzuführen. Unterdessen werden weiterhin Luftangriffe in diesem Gebiet geflogen und zwingen Vertriebene zur neuerlichen Flucht.

Ärzte ohne Grenzen betreibt fünf Gesundheitseinrichtungen und drei mobile Kliniken im Norden Syriens. Die Organisation unterstützt fünf weitere Einrichtungen und hilft mit Telemedizin für etwa 50 Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land, wo die Hilfsteams nicht direkt vor Ort sein können. Ärzte ohne Grenzen kann nicht in von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeiten, da diese bislang keinen Zugang gewährt hat. In Gebieten unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staats kann die Organisation wegen fehlender Sicherheitsgarantien ebenfalls nicht arbeiten. Zur Wahrung der politischen Unabhängigkeit nimmt Ärzte ohne Grenzen keine Regierungsgelder für die Arbeit in Syrien.