Geschichte: 2019

Der Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo beschäftigt unsere Teams auch 2019. Der Ausbruch ist der zweitgrößte in der Geschichte des Landes.
Alexis Huguet
- Fast fünf Jahre müssen die Menschen im Jemen nun schon ein Leben im Krieg ertragen: Sie leiden unter den Kämpfen, steigende Arbeitslosigkeit macht ihnen zu schaffen, und es fehlt an Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten, Treibstoffen und Transportmitteln. Zivilisten, medizinisches Personal und Gesundheitseinrichtungen – darunter auch solche von Ärzte ohne Grenzen - werden von den beteiligten Kriegsparteien angegriffen. Im Februar 2019 protestieren wir gegen falsche Anschuldigungen eines Untersuchungsteams zur Bombardierung eines Cholera-Behandlungszentrums unserer Organisation in der Stadt Abs im Juni des vergangenen Jahres: Wir hatten das Gelände dieses Behandlungszentrums an drei Stellen prominent mit Logos gekennzeichnet und dessen Standort mindestens zwölfmal den zuständigen Behörden der Militärallianz mitgeteilt. Dennoch war es bombardiert worden. Im Laufe des Jahres beschäftigen uns solche Angriffe, die enormen Schwierigkeiten der humanitären Arbeit im Jemen insgesamt und die Auswirkungen des Krieges immer wieder.
- Die verheerende Situation für Geflüchtete und Migranten in Libyen verschlimmert sich 2019 nochmals. 5.700 dieser Menschen werden dort in Internierungslagern festgehalten, in denen völlig menschenunwürdige Zustände herrschen. Sie haben oftmals schlimmste Gewalterfahrungen hinter sich, darunter Zwangsarbeit, Misshandlungen, Vergewaltigungen, Entführungen und Folter. Gefangene vor Ort erzählen unseren Teams immer wieder von Suizidversuchen Mitgefangener. Mit Beginn der Kriegshandlungen in Libyen 2019 verschlechtert sich die psychische Verfasstheit der Internierten massiv. Im Juli 2019 wird das Lager Tadschura getroffen - 60 Menschen sterben. Unter denjenigen, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen, sind sehr viele, die unseren Mitarbeiter*innen von ihren schrecklichen Erlebnissen in Libyen berichten. Seit August 2019 retten wir mit unserem gemeinsam mit der Organisation SOS Mediterranee betriebenen Schiff Ocean Viking wieder Flüchtlinge in Seenot auf dem Mittelmeer. 2019 kamen laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) mindestens 1.246 Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben, davon allein 743 auf dem zentralen Mittelmeer (Stand: 16. Dezember 2019) Immer wieder fordern Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen, dass aufnahmebereite Mitgliedstaaten aus Seenot gerettete und in EU-Mittelmeeranrainerstaaten gestrandete Schutzsuchende solidarisch aufnehmen müssen. Zudem darf es keine Rückführung nach Libyen geben. Bereits im April hatten sich 250 zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief mit solchen Forderungen an Bundeskanzlerin Merkel gewandt.
- Im März berichtet Ärzte ohne Grenzen, dass sich auf der griechischen Insel Samos die Situation im EU-Lager für Geflüchtete drastisch verschlechtert hat. Deswegen hat die Organisation wieder mit medizinischer Hilfe vor Ort begonnen. Der Landeskoordinator Emmanuel Goué erklärt: „Der EU-Türkei-Deal hat auf den griechischen Inseln und dem griechischen Festland zu einem nicht entschuldbaren Ausmaß menschlichen Leids geführt. Die EU und die griechischen Behörden rauben den Menschen ihre Würde und ihre Gesundheit.“ Ärzte ohne Grenzen fordert, dass für schutzbedürftige Menschen geeignete Unterkünfte auf dem griechischen Festland gefunden oder in anderen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch im September beklagt Ärzte ohne Grenzen die politikgemachte Krise: auf Lesbos, Samos und Chios sitzen mittlerweile 24.000 Schutzsuchende ohne ausreichend staatliche Versorgung in völlig überfüllten Lagern fest, die für 6.300 Menschen ausgelegt sind. Im November 2019 verweist der internationale Präsident von Ärzte ohne Grenzen, Christos Christou, nach einem Besuch auf Lesbos und Samos in einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU auf drei Todesfälle auf Grund der entsetzlichen Bedingungen. Besonders schockiert zeigt er sich über das psychische Leid der Kinder in den Lagern. Er fordert: „Stoppen Sie diesen Wahnsinn!“
- Im März trifft darüber hinaus der Zyklon Idai Mosambik. Mehr als 600 Menschen kommen durch die Naturkatastrophe ums Leben, über 70.000 Menschen müssen in provisorischen Lagern Zuflucht suchen. Wir beginnen mit der Behandlung von Cholera-Patient*innen. Nur sechs Wochen später trifft der Zyklon Kenneth Mosambik – mit einer ebenfalls verheerenden Bilanz: Mehr als 40 Todesopfer, 37.000 teilweise oder gänzlich zerstörte Häuser und mehr als 20.500 Menschen, die in provisorischen Unterkünften Zuflucht suchen müssen. Durch das vorbereitende Verlagern medizinischer und logistischer Hilfsgüter in den Norden Mosambiks, war Ärzte ohne Grenzen auf den Nothilfeeinsatz gut vorbereitet. Auch Malawi und Simbabwe sind von den Auswirkungen des Zyklons Idai betroffen – wir helfen auch dort. Im Oktober 2019 nimmt Ärzte ohne Grenzen in einem Appell u.a. auf diese beiden Naturkatastrophen Bezug. Gemeinsam mit anderen Hilfs- und Ärzt*innenorganisationen ruft Ärzte ohne Grenzen die Bundesregierung dazu auf, weitreichende Maßnahmen zu treffen, um die Erderwärmung zu reduzieren. Die Klimakrise ist nach Auffassung der Organisationen nicht nur eine ökologische, sondern auch eine humanitäre Katastrophe: Menschen, die ohnehin von Armut, Krankheit, extremen Wetterverhältnissen sowie einer unsicheren Ernährungssituation betroffen sind, litten besonders unter den Folgen des Klimawandels und seien auch in Zukunft am stärksten davon bedroht, heißt es in dem Statement anlässlich des Humanitären Kongresses. Der Appell wird von Ärzte der Welt, dem Deutschen Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, der Ärztekammer Berlin und Greenpeace gemeinsam getragen.
- Der Krieg in Syrien verursacht auch 2019 Leid und Vertreibung. So fordert Ärzte ohne Grenzen im Mai die Ausweitung der humanitären Hilfe für das Flüchtlingslager Al-Hol im Nordosten Syriens. Mehr als 70.000 Geflüchtete sind dort von lokalen Sicherheitskräften eingeschlossen. Es fehlt an medizinischer Versorgung, Wasser- und Sanitäranlagen. Kinder leiden an Mangelernährung und sterben an Krankheiten. Im Oktober beginnt die türkische Militäroperation in Nordsyrien. Ärzte ohne Grenzen muss aufgrund der sehr unsicheren Lage die schwierige Entscheidung treffen, die Mehrzahl der Aktivitäten aufzugeben und die internationalen Mitarbeiter*innen abzuziehen. Die Organisation unterstützt syrischen Kolleg*innen aus der Ferne oder diejenigen Menschen, die in Nachbarländer wie den Irak geflohen sind. In Nordwesten Syriens geht die Hilfe weiter - gegen Ende des Jahres verschlechtern sich auch dort die Verhältnisse für die Menschen deutlich. Intensivierte Angriffe der syrischen Armee und ihrer Verbündeten zwingen Zehntausende zur Flucht. Doch Orte, die Zuflucht bieten, werden immer rarer. Galt früher noch das Grenzgebiet zur Türkei als sicherer Rückzugsort, werden nun auch dort Städte und sogar ein Flüchtlingslager unter Beschuss genommen. Wir stehen den Menschen in provisorischen Einrichtungen mit medizinischer Hilfe zur Seite.
- Ende Oktober ruft die Regierung des Südsudans nach verheerenden Überschwemmungen in 27 Gebieten des Landes den Notstand aus. 800.000 bis 900.000 Menschen sind betroffen. Auch einige unserer Krankenhäuser sind überflutet. Unsere Mitarbeiter*innen leisten an mehreren Orten Nothilfe. Von den Fluten sind noch weitere Länder in Ostafrika betroffen. So helfen wir auch in Somalia, z.B. beim Bau von Toiletten und bei der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser. Zudem verteilen wir Zelte und Kochsets.
- Auf dem Balkan, wo sich Ärzte ohne Grenzen seit vier Jahren um an den EU-Außengrenzen gestrandete Geflüchtete kümmert, verschärft sich im Herbst die Lage. Ärzte ohne Grenzen fordert daher im November die Schließung des Flüchtlingslagers Vucjak, das im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas liegt. Die Menschen müssen dort bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt in unbeheizten Zelten schlafen. Der Boden ist mit leicht entflammbarem Methangas kontaminiert, und in der Umgebung liegen Landminen. Die lokalen Behörden wollen auch während des Winters Neuankömmlinge nach Vucjak bringen. Unsere Mitarbeiter*innen behandeln täglich rund 60 Patient*innen, darunter auch Opfer von sexualisierter Gewalt. Etliche Patient*innen haben zudem Verletzungen, die sie eigenen Aussagen zufolge durch Grenzbeamte erlitten. Im Dezember 2019 wird das Lager schließlich doch geräumt und die dort verbliebenen Geflüchteten in andere Unterkünfte gebracht.
- Der Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo beschäftigt die Teams von Ärzte ohne Grenzen auch 2019. Der Ausbruch ist nach jenem 2014 bis 2016 in Westafrika die zweitgrößte Ebola-Epidemie in der Geschichte. Mehr als 3.290 Menschen haben sich in der D.R. Kongo mit dem Ebola-Virus infiziert, mehr als 2.197 starben an der Krankheit (Stand 22. November 2019). Die Mitarbeiter*innen von Ärzte ohne Grenzen sind bei diesem Einsatz während des ganzen Jahres mit vielen Problemen konfrontiert. Dazu gehört, dass die betroffene Region im Osten der D.R. Kongo ein Konfliktgebiet ist. und das auch mit dieser Situation verbundene Misstrauen wichtige Aktivitäten erschwert. Dazu gehören die Nachverfolgung von Kontaktpersonen, die epidemiologische Überwachung, die Gesundheitsaufklärung, die Gewährleistung sicherer Beerdigungen von Ebola-Toten sowie Impfungen. Die Lage führt auch dazu, dass wir die Projektarbeit an einigen Orten vorübergehend suspendieren müssen – so beispielsweise im Dezember in der Region Biakato. Dort war es zu mehreren gewaltsamen Übergriffen auf Gesundheitseinrichtungen gekommen. Damit die Menschen der Region weiterhin Zugang zur benötigten medizinischen Versorgung haben, übergibt Ärzte ohne Grenzen alle Materialien an das Gesundheitsministerium. So bleibt der Ebola-Ausbruch trotz eines Rückgangs der Neuinfektionen im Herbst eine ernste Gesundheitskrise. Ärzte ohne Grenzen ruft zu größeren Anstrengungen bei der Identifizierung von Patient*innen und der Nachverfolgung von Kontaktpersonen auf, sowie zu einem breiteren Einsatz von Medikamenten und Impfstoffen. Schließlich brauchen auch die Situation vertriebener Menschen und die neben Ebola auftretenden Gesundheitsprobleme in der vernachlässigten Region im Osten der D.R. Kongo Aufmerksamkeit und Ressourcen. Die Masernepidemie zum Beispiel, die in der D. R. Kongo um sich greift, ist mit mehr als 288.000 Erkrankten und 5.700 Toten in 2019 die weltweit schwerwiegendste.